09.08.2009 PDF

Was ist hier eigentlich los? Finanzkrise 2008ff

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Ein faktenmäßiger Rückblick
2007 bricht weltweit der Handel mit einer besonderen Art von Wertpapieren zusammen (verbriefte Kredite). Nach und nach stellt sich raus, dass so ziemlich alle wichtigen Finanzinstitute weltweit in der einen oder anderen Weise in diesem Handel engagiert waren und Probleme bekommen. An den Börsen geraten daraufhin zunächst Bankenaktien unter Druck. Anfang 2008 weitet sich der Wertverfall bei Wertpapieren auf die Aktienmärkte insgesamt aus. Schon 2007/Anfang 2008 geraten einzelne Institute ins Straucheln und die Staaten beginnen den Finanzsektor mit umfangreichen Finanzspritzen zu unterstützen. Mit den staatlichen Geldern wird der Abwärtsstrudel nicht behoben. Im Sommer/Herbst 2008 droht eine renommierte Bank nach der anderen zusammenzuklappen und die umfangreichste Finanzkrise seit 80 Jahren ist unterwegs. Innerhalb der Staaten und untereinander wird darum gestritten, wie dem Finanzsektor unter die Arme gegriffen werden soll und mit Island und Ungarn hatte man die ersten Übergänge in einen Staatsbankrott. Eine allgemeine Wirtschaftskrise, vor allem im Automobilsektor, gesellt sich hinzu. Das Krisenmanagement der Staaten bestimmt die Nachrichten und öfters hört man, dass das eine Rettungsprogramm auf Kosten der anderen Nation geht, was sowohl neuen Stoff für Streitigkeiten als auch abgestimmte Programme bringt.


Die Erklärungsangebote in der Öffentlichkeit und der Anspruch dieses Textes
Eine fast lustig anmutende Erklärung der Krise geht ungefähr so: In den USA wurden viele Kredite an arme Menschen vergeben, die sich damit ein Haus gebaut haben. Weil die armen Menschen aus verschiedensten Gründen die Zinsen nicht mehr zahlen konnten, gibt es eine weltweite Finanzkrise. Es mag ja sein, dass die geplatzten Konsumentenkredite in den USA ein großer Tropfen für das überlaufende Fass waren, aber die Frage, wie das Fass eigentlich selber funktioniert, ist damit natürlich überhaupt nicht beantwortet. Das versucht der folgende Text. Dabei wird nicht versucht, die sogenannte Subprime oder Hypothekenkrise zu erklären. Diese ist ja selber nur eine Krise an einem bestimmten Ende des Finanzsektors gewesen und erklärt auch nicht, warum deshalb so viele Finanzinstitute vor der Pleite stehen. Daher steigt dieser Text einfach in der Mitte der Krise ein und versucht von dort aus über einige Prinzipien des Finanzgewerbes aufzuklären, welche die Wucht der Krise erhellen.
Vergeblich wird man in diesem Text den Vorwurf des Missmanagements suchen, der die große Linie der Krisenaufklärung in der Öffentlichkeit bestimmt. Nach dieser Lesart haben: a) alle Bankmanager versagt b) alle Rating-Agenturen beim Bewerten der Bankaktivitäten versagt und c) die Politiker beim Aufpassen über Geldmenge, Bankmanager und Rating-Agenturen versagt. Auffällig an diesen Vorwürfen ist nämlich, dass sie immer dann erhoben werden, wenn eine Bank mal wieder ihre negativen Bilanzen eingestehen muss. Andere Banken werden dann dagegen lobend hervorgehoben. Allerdings nur solange, bis auch sie eingestehen müssen, dass sie Probleme haben. Sofort ist klar: Dort war auch Versagen am Werk. An diesen spontanen Änderungen des Tadels und des Lobs wird deutlich, dass die Ankläger sowieso nur ein Kriterium für die Beurteilung haben: Läuft alles gut, machen alle Verantwortlichen es richtig, läuft es schlecht, dann versagt jemand bzw. hat jemand versagt. Sie wollen erklären, warum die Krise da ist und haben gar kein anderes Kriterium als Krise selbst, um dies zu begründen. So erklären sie nichts, erhalten sich und den Zuhörern/Lesern dafür die Illusion, dass der Kapitalismus ohne Krisen auskommen könne. (1) Dieser Text zeigt dagegen, dass sich die Krise den normalen Geschäftsprinzipien verdankt, und gerade deshalb der Laden seine Probleme hat, weil alle alles dem kapitalistischen System gemäß „richtig“ gemacht haben.
Klar, in der Wirtschaftskrise geht es vielen Menschen noch mal extra-dreckig. Für einen Kurzschluss halten wir aber den Impuls, deswegen sich den alten funktionierenden Zustand zurück, bzw. wieder her zu wünschen. Und dies nicht, weil, wie einige Linke meinen, der Kapitalismus eh nicht funktionieren könne, was man an der Krise sehen würde. Dieser Text zeigt, dass der Grund für die Krise im funktionierenden Kapitalismus liegt und dessen Prinzipien bedürfnisfeindlich sind - in guten wie in schlechten Zeiten. Daher haben wir auch anderes in Sinne, als Vorschläge zu machen, wie „wir“ (wer ist denn das eigentlich?) den Kapitalismus wieder zum Laufen bringen.


1. Ein normales Bankgeschäft: Kredite vergeben mit Geld, dass sich Banken selber leihen – dargestellt am Beispiel Lehman Brothers
Der Auslöser der Insolvenz von Lehman Brothers war der Umstand, dass die Bank offensichtlich auf kurzfristige Kredite von anderen Banken angewiesen war, die ihnen immer weniger oder nur mit immer höheren Zinsen gewährt wurden. Lehman Brothers hat mit dem geliehenen Geld eigene Geschäfte an den Finanzmärkten gemacht. Zu lesen war, dass sie z. B. langfristige Kredite vergeben hat, etwa zur Finanzierung von Immobilien. Für langfristige Kredite gibt´s höhere Zinsen als sie für die kurzfristigen zahlen musste – wenn alles „normal“ läuft. Aus der Zinsdifferenz lässt sich ein Gewinn schlagen. Die kurzfristigen Kredite müssen natürlich zurückgezahlt werden, bevor der langfristige Kredit wieder vollständig zurückkommt. Dies nennt man „Refinanzieren“: Ein auf Schulden gegründetes Geschäft will erhalten (oder eingeleitet) werden durch weitere Schulden. Sie haben die fälligen kurzfristigen Kredite mit anderen kurzfristigen Krediten (evtl. sogar von derselben Bank) bezahlt. Klar, wenn die kurzfristigen Kredite aber nicht mehr gewährt werden, hat die Investmentbank ein Problem. (2) Zur Insolvenz, also der Zahlungsunfähigkeit, gibt´s dann verschiedene Verlaufsformen: Der Endpunkt ist der, dass kurzfristige Kredite zurückbezahlt werden müssen, aber kein flüssiges Geld dafür vorhanden ist. Ein möglicher Verlauf: Steigen die Zinsen bei den kurzfristigen Krediten – aus welchen Gründen auch immer – dann wird die Gewinnspanne, welche aus der Differenz der genommenen und vergebenen Kredite schmaler. Das Vertrauen in die Fähigkeit der Bank dauerhaft weiter Gewinne zu generieren schwindet bei einigen Kreditgebern, was zu noch höheren Zinsen und schließlich zu keiner Kreditwürdigkeit führt.
Die Investmentbanken waren in besonderem Maße auf immer neue Kredite von anderen Banken angewiesen. Diese Kredite aus dem „Interbankenhandel“ gab es zu diesem Zeitpunkt kaum oder wenn, dann nur mit sehr hohen Zinssätzen. Warum das so ist, dazu gleich im Punkt 3 mehr. Relativ zu den Investmentbanken stehen die herkömmlichen Geschäftsbanken, welche der breiten Masse Spar- und Girokonten anbieten, derzeit besser da. Sie verfügen über eine Geldquelle, die unabhängig vom Interbankenhandel ist. Daran kann man erkennen, wie noch jede Bank arbeitet: Sie verschuldet sich. Genau darüber organisiert sie sich überwiegend jene Geldmittel, mit denen sie selber Investitionen tätigen kann. Sparkassen oder die Deutsche Bank nehmen Gelder von ihren Kontoinhabern laufend an, versprechen teilweise selber einen Zins und „arbeiten“ dann mit dem fremden Geld, indem sie es weiter verleihen oder anderweitig im Finanzmarkt investieren. Was für die reinen Investmentbanken das Ende ihres Geschäfts bedeutet – wenn sie keinen Kredit mehr von anderen Banken bekommen – ist für die Geschäftsbanken dann der Fall, wenn die Kontoinhaber massenhaft ihr Geld abziehen. Dann stellt sich raus, dass sie nicht alle Kontoinhaber auszahlen können. (3) Alle Banken und sonstigen Finanzinstitutionen refinanzieren sich (Geschäfte stiften mit Hilfe von fremden Geldern) und sind davon abhängig, dass diese Refinanzierung in der Masse nie aufhört. Die Fähigkeit über das Verleihen von Geldern einen Zinsgewinn einzustreichen, hängt davon ab, dass andere Akteure selber Geld verleihen wollen, um darüber einen Zins einzustreichen.


2. Der Dominoeffekt von Kreditketten
Ein Prinzip, um zu kapieren, wie Probleme bei einer Bank zu Problemen bei immer weiteren Banken führen, soll im Folgenden an einem vereinfachten Beispiel dargestellt werden: Wenn eine Bank einen Kredit an ein Unternehmen vergibt, hat das Unternehmen das Geld und die Bank erhält einen Schuldschein. Geht das Unternehmen pleite, dann hat auch die Bank ein Problem und kann den Schuldschein ggf. in den Mülleimer werfen. Hat die Bank aber diesen Schuldschein zwischenzeitlich z. B. an eine andere Bank weiterverkauft, dann ist sie im Falle der Insolvenz des Unternehmens erstmal aus dem Schneider. Nicht sie, sondern die zweite Bank hat dann das Problem. So ist das Phänomen der immer weiter um sich greifenden Finanzkrise nicht zu erklären. Anders aber im folgenden Fall: Die Bank A vergibt einen Kredit an ein Unternehmen und hat jetzt einen Schuldschein. Die Bank B gibt der Bank A einen anderen Kredit, weil sie meint, dass die Bank A mit dem Schuldschein vom Unternehmen ja sowas wie eine Sicherheit hat. Die Bank A hat jetzt neues Geld und verleiht dieses an ein weiteres Unternehmen oder an eine andere Bank. Eine Bank C gibt jetzt der Bank B einen Kredit, weil sie davon ausgeht, dass die Bank B mit ihrem Schuldschein gegen die Bank A ebenfalls sowas wie eine gute Sicherheit besitzt. Das kann ewig so weitergehen mit einer Bank D, E, F usw. Kann jetzt das Unternehmen im Ausgangspunkt nicht zahlen, kann die Bank A den Kredit von der Bank B nicht begleichen. Bank B kann dann die Bank C nicht auszahlen usw. Solche Kreditketten, in denen der eine Kredit den nächsten begründet, sind die Finanzinstitute weltweit miteinander eingegangen, vermittelt über ganz einfache Kredite bis hin zu den kompliziertesten Finanzprodukten. Nur auf Grundlage dieser Ketten hat der Wertverfall von besonderen Kreditprodukten an einem Ende der Spekulation so weitreichende Wirkungen.
Wenn man das Bankgewerbe und die Finanzkrise verstehen will, sollte man nicht kopfschüttelnd dabei stehen bleiben, dass das „alles ganz schön wild und unsolide“ anmutet, sondern sich die Frage stellen, warum Banken das überhaupt können. Diese Frage soll später im Punkt 5 verfolgt werden. Zunächst zurück zum Ausgangspunkt, der Krise bei den Investmentbanken und ihrem Leid mit dem Interbankenhandel.


3. Aus welchen Gründen steigen die Zinsen beim Interbankenhandel und wie führt das zum Erliegen desselben?
Ein entscheidender Punkt ist der, dass diejenigen Institute, welche kurzfristige Kredite anderen Banken anbieten, selber ihr Geschäft auf Basis von Schulden betreiben, also ebenfalls bei Fälligkeit ihrer Schulden zahlungsfähig sein müssen. Können sie sich sicher sein, dass sie – genau wie ihre Schuldner – die alte Schuld durch eine neue Schuld begleichen können, dann können sie ihre zurückfließenden Gelder einfach wieder neu investieren. Fehlt allerdings diese Sicherheit, dann müssen sie die zurückfließenden Gelder behalten, als Reserve dafür, jederzeit die alten Schulden zu begleichen. Sie müssen ihr Geld als Geld behalten, schlicht um Schulden abbezahlen zu können. Sie können es nicht mehr als Kapital einsetzen, also das Geld verleihen, damit es sich durch den Zins vermehrt. Das Geld wechselt so insgesamt seine Zweckbestimmung im Finanzgewerbe: Es ist nicht Geldkapital, sondern Zahlungsmittel. Es reicht hier aus, wenn eine Bank selber keine Probleme hat, sie aber bei anderen Banken vermutet und deshalb daran zweifelt, dass ihr kurzfristiger Kredit gegebenenfalls durch kurzfristige Kredite von anderen Banken ersetzt werden könnte. Die Banken misstrauen ihrem eigenen Schuldenkreislauf und bestätigen ihr Misstrauen durch eine restriktivere Vergabepraxis. Ein Zirkel, der schließlich zum Erliegen des Interbankenhandels bei kurzfristigen Krediten führte. Solange also die Banken den Zweck verfolgen, alles Geld, das sie in die Hände bekommen, zu vermehren, geben sie sich untereinander Kredit. Dadurch können alle Banken immer mehr Projekte finanzieren, von denen sie sich eine Vermehrung des Geldes versprechen. Dies erklärt auch, warum die Aufblähung des Kredits so schnell so ungeheure Summen erreicht, dass man nicht mehr weiß, wie viele Nullen eigentlich vor dem Komma stehen. Müssen die Banken aber ihr Geld für Zahlungsverpflichtungen reservieren, können sie sich immer weniger wechselseitig kreditieren und sorgen dafür, dass schließlich alle ihr Geld für Zahlungsverpflichtungen horten. Der Auslöser einer Bankenkrise des Formats in den Jahren 2007-2009 ist das Misstrauen in einen besonderen Geschäftszweig des Finanzgewerbes gewesen (die sogenannte Hypothekenkrise aus dem Jahr 2007). Dies bewirkte einen teilweisen Funktionswechsel des Geldes: Einige Banken brauchten jetzt ihre Gewinne und sonstige eingehende Gelder für diejenigen Schuldforderungen, die gegen sie bestanden und konnten so das Geld, was sie selbst als Kredit erhielten, nicht bei anderen Banken in Form von Krediten oder sonstwie „investieren“. Das nährte das Misstrauen in den gesamten Schuldenkreislauf und bestätigte das Misstrauen durch die eigene restriktivere Kreditvergabepraxis: ein selbstverstärkendes Prinzip.


4. Ein Prinzip des Finanzgewerbes: Schulden ersetzen Geld, umgekehrt geht es nicht
Dieser Zirkel drückt eine Grundlage des Finanzgeschäfts aus: Schulden und Kredit ersetzen wirkliches Geld, umso mehr je besser es funktioniert. Zugleich drückt sich eine komplementäre Wahrheit über dieses Geschäft aus: Geld kann Schulden und Kredit nicht ersetzen. Dies ist eine elementare Einsicht zur Erklärung der aktuellen Krise.
Wirkliches Geld war und ist nach wie vor vorhanden. In Wirtschaftszeitungen konnte man die Verwunderung darüber nachlesen, dass die Banken sich wechselseitig keinen Kredit geben, obwohl hohe Zinsen in Aussicht stehen und gleichzeitig ziemlich viel Geld von den Banken „über Nacht“ gegen sehr niedrige Zinsen bei der Zentralbank gelagert wurden. Der Witz am funktionierenden Bankgeschäft ist aber, dass es den Banken gemeinsam gelingt, wirklichen Geldbesitz zu einer relativ unbedeutenden Sache zu machen, indem sie Schuldversprechen wie wirkliches Geld behandeln. Schuldverhältnisse werden im Aufschwung angehäuft in einem Maße, dass im Falle der folgenden Krise das vorhandene Geld tatsächlich diese angehäuften Ansprüche aneinander nicht begleichen kann. Dieses Prinzip zeigt sich auch an anderen Ecken und Zirkeln des Finanzgeschäfts, eine bedeutsame soll hier vorgestellt werden:
Um bei dem Lehman Brothers Beispiel zu bleiben. Zum Zeitpunkt der Insolvenz soll die Bank laut Insolvenzverwalter ca. 600 Mrd. Dollar Vermögenswerte gehabt haben. Was sind diese Vermögenswerte? Sie bestehen aus Aktien, Schuldscheinen, Staatsanleihen und anderen Wertpapieren, in die Lehman investiert hat. Offensichtlich hat die Bank diese Wertpapiere nicht mit eigenen Geldmitteln gekauft, sondern überwiegend auf Pump. (4) Diese Vermögenswerte, die Lehman Brothers besaß, waren aber selbst nichts anderes als Schulden, die andere Banken und Unternehmen bei dieser Bank hatten. (5) Nicht nur diese Bank versuchte möglichst viel Geld an sich zu ziehen, indem sie anderen Geldbesitzern Zinsen verspricht, um dann das Geld zu investieren, um noch höhere Zinsen, Dividenden oder Kursgewinne zu erzielen. Das ist die Normalität. Die Aktien, Staatspapiere, Schuldverschreibungen oder sonstiges, was dann bei der Bank liegt, wird als Vermögen hochgerechnet. Das Vermögen existiert dann praktisch doppelt, einmal bei dem neuen Schuldner, der mit dem geliehenen Geld vielleicht den Bau eines Bürokomplexes finanziert und einmal bei der Bank als Gläubiger, die das Schuldversprechen als Vermögen hochrechnet. Das geht, weil andere Banken und Investoren das genauso sehen und die Rechtstitel auf zukünftige Zahlungsströme jederzeit kaufen und verkaufen, diesen Rechtstiteln also praktisch einen Preis zusprechen. Der an Börsen und im Interbankenhandel ermittelte Preis solcher Schuldforderungen wird nicht nur in den Gewinnbilanzen aufgenommen, sondern dient zugleich als Sicherheit für Zahlungsfähigkeit. Auch hier schafft Kredit neuen Kredit, indem er bares Geld als Liquiditätsreserve ersetzt. Sinken die Bewertungen solcher Wertpapiere, weil weniger Investoren sie kaufen als andere sie verkaufen wollen, dann sinkt damit die Sicherheit der Bank, jederzeit zahlungsfähig zu sein. Dann müssen die Banken Vorsorge treffen, Wertpapiere verkaufen, um ihre Bilanz vor Verlusten zu schützen und ggf. mehr bares Geld halten für ihre eigene Kreditwürdigkeit. Sie verkaufen also die Wertpapiere und sorgen damit für weiteren Kursverfall, was den Verkauf der Wertpapiere weiter anheizt.
Mit lauter Zirkeln wächst das Finanzkapital und wegen der Zirkel geht´s bergab. Bergauf geht es, wenn die Banken darauf vertrauen, dass es allgemein so gesehen wird, dass bloße Rechtstitel auf zukünftiges Geld schon so gut wie vermehrtes Geld sind. Bergab geht es, wenn dies nicht mehr allgemein so gesehen wird und jeder bares Geld vorweisen soll. Im Aufschwung und in der Krise des Bankgeschäfts zeigt sich, wie die Bank auf ihre Konkurrenten verwiesen ist.


5. Woher kommt die besondere Fähigkeit der Banken aus Schulden Gold zu machen?
Die Selbstverständlichkeit, mit der das Finanzkapital unterstellt, dass verliehenes Geld schon so gut wie gegenwärtiger und schon vermehrter abstrakter Reichtum ist, ist erklärungsbedürftig. (6) In normalen Zeiten macht sich darüber niemand einen Kopf. Heute ist die Klage überall zu hören, dass die gierigen Manager mal wieder übertrieben hätten. So wird ein rein quantitatives Problem als Kern der Krise gesehen. (7) Über die Qualität des Stoffes, mit dem das Finanzgewerbe zu tun hat, macht sich auch heute in Krisenzeiten keiner einen Kopf. Ein vergebener Kredit legt von vornherein fest, um welchen Betrag sich das Geld relativ zur verliehenen Summe vermehren muss – die Zinshöhe. Darin ist die Gleichgültigkeit gegenüber dem Wie der Vermehrung enthalten. Bei der Aktie scheint das zunächst anders zu sein, weil die Dividende ja variabel ist. Aber: Indem Aktien, also Rechtstitel auf zukünftige Einnahmen, an den Börsen und in den Bankbilanzen gegenwärtig einen Preis bekommen, unterstellen alle Beteiligten, dass die Vermehrung des Geldes auf lange Sicht schon klappt. Nur die Frage „wie hoch?“ ist dann das Material für die Spekulation auf die künftigen Gewinne der einzelnen Unternehmen, die dann zu den allseits bekannten Kursschwankungen an der Börse führt. Sicherlich bemerken auch Banker, dass Geld investieren und eine gewinnbringende Produktion plus Verkauf der Waren zwei verschiedene Sachen sein können. Das verarbeiten sie aber wiederum als Zinshöhe oder in der Form, dass sie Sicherheiten fordern. Dass die Schuldscheine Vermehrung garantieren würden, das ist in der Bewertung derselben immer unterstellt.
Bei der Vermehrung von Geld durch das Verleihen gegen Zins oder Handel von Schuldtiteln ist bereits unterstellt, dass die gelungene Geldvermehrung einfach eine Frage von Geldbesitzen ist. Diese allgemein vorausgesetzte Selbstverständlichkeit, dass eine Geldsumme die Fähigkeit zu ihrer Vermehrung in sich trägt, verweist auf die Sphäre, in der der kapitalistische Reichtum tatsächlich geschaffen wird und das ist einen kleinen Exkurs wert:
Daran haben sich mittlerweile nicht nur die Banken, sondern alle gewöhnt: In dieser Ökonomie wird im Prinzip nicht gearbeitet, keine Technik entwickelt und kein Boden bearbeitet, wenn sich damit kein Geld verdienen lässt. Wer über genügend Geld verfügt, kann eine Produktion anschieben und sich die Arbeitskräfte kaufen, mit deren Leistung dann ein Warenberg hergestellt wird, der bei erfolgreichem Verkauf den Gewinn einfährt. Auf der anderen Seite stehen die abhängig Beschäftigten, deren Name schon sagt, dass sie absolut darauf angewiesen sind, dass sie jemand einkauft und erfolgreich vernutzt. In der Differenz dessen, was die Arbeiter als Lohn erhalten und was sie ständig an vermehrten Waren und daher an abstraktem Reichtum herstellen, hat das in Geld bemessene Wirtschaftswachstum seinen Grund. (8) Das weiß so gut wie niemand, aber in den folgenden politischen Aussagen der Öffentlichkeit schimmert eine Ahnung darüber schon recht deutlich durch: Arbeiter sollten in der Krise keine Lohnerhöhungen fordern, denn jetzt müssen die Betriebe erstmal wieder wachsen. Wenn der Aufschwung kommt, sollten sie auch keine Lohnerhöhung fordern, sonst würgen sie ihn ab. Ist der Aufschwung auf der Spitze, droht er schon wieder zu kippen und deswegen sollten keine Lohnerhöhungen stattfinden. Und dann ist schon wieder Rezession. Zu jeder Zeit sollen die Arbeiter die Vernunft aufbringen, ja nicht mehr Lohn zu fordern, um damit am Wirtschaftswachstum teil zu haben, denn sonst stören sie das Wirtschaftswachstum und dann haben sie bald gar keinen Lohn mehr. Die Arbeiter hängen absolut vom Kapital ab. Geht´s dem gut, heißt das zwar noch lange nichts für den Lohn und die Leistung, die aus den Arbeitern rausgepresst wird. Schmiert das Kapital aber ab, weiß jeder, dass es jetzt noch schlechter wird. Die Unterordnung der Produktion unter den Profit und die Trennung der Arbeitsresultate von denjenigen, die sie herstellen, ist der Grund für die Armut in den verschiedensten Ausprägungen: Hunger alleine ist im Kapitalismus für Unternehmen kein Grund, irgendwo einen Finger zu rühren, geschweige eine Maschine anzustellen. Es muss schon zahlungsfähiger Hunger sein. (9) Das Interesse, über Lohnarbeit sein Leben zu bestreiten, findet nur relativ zum Gewinn seine Erfüllung oder auch nicht. Für sein Leben und seine Bedürfnisse arbeiten zu wollen ist in dieser Ökonomie nachrangig, davor steht die Frage, ob die Arbeit für den Gewinnzweck gebraucht wird. Und je weniger Lohn und je mehr Leistung aus dem Arbeiter rausgeholt wird, desto besser für den Gewinn. Daher auch die elendige Form, in der die Masse der Lohnarbeiter überhaupt in den Genuss kommen, für andere und relativ dazu für sich zu arbeiten: geringe Lohnhöhe und damit beschränkte Bedürfnisbefriedigung, Ruinierung der Gesundheit, Arbeitsstress, Existenzangst, wenig Urlaub und eine Arbeitslänge, welche für den Freizeitteil keine Energie mehr übrig lässt. Für uns lauter Gründe die Prinzipien dieser kapitalistischen Ökonomie abzulehnen. Für das Bankgeschäft hingegen, das heute so eindrucksvoll zusammenbricht, die selbstverständliche Grundlage.
Wenn alles nur über´s Geld zu haben ist, dann sind die Mittel und Wege, das Geld über den Umweg der Produktion von Waren zu vermehren, selber eine Frage von Geldbesitz. Geld in bestimmter Höhe ist dann schon gleichbedeutend mit kapitalistischer Verfügungsgewalt über Land, Produktionsmittel, Wissen und Leute. Das ist unterstellt, wenn der Zins in einer Gesellschaft allgegenwärtig ist. Die Größe eines Kapitals wird zu einer Waffe in der Konkurrenz der Kapitalien untereinander. Je mehr ein Kapital an Geld aufbringen kann, desto rentabler kann es die Produktion und den Vertrieb einrichten, desto besser kann es sich gegen Seinesgleichen in der Konkurrenz durchsetzen. Die Unternehmen haben von sich aus ein Interesse an Geld zu kommen, dass sie noch gar nicht verdient haben. Sie wollen ihr Geschäft mit geliehenem Geld um ein Maß erweitern, das die bisher realisierten Gewinne nicht hergeben. Dieses Bedürfnis der Unternehmen nach mehr Geld zum Zwecke der Gewinnsteigerung nützen wiederum Geldbesitzer aus, indem sie das Geld warenförmig machen. Sie verleihen Geld und sichern sich mit dem Zins vorweg einen Teil der Gewinnvermehrung, welche woanders als bei ihnen geschaffen wird. Das Vertrauen in den gesellschaftlichen Produktionsprozess, der alles auf den Gewinn ausrichtet, ist dann die eine halbe Miete, um zu erklären, warum Schulden bzw. Schuldforderungen selber schon als Vermögen hochgerechnet werden und als Geldersatz fungieren. Weil die Zinszahlung so selbstverständlich klappt, zumindest im Großen und Ganzen, spricht das Finanzgewerbe den bloßen Rechtstiteln auf den zukünftig noch zu produzierenden abstrakten Reichtum einen Preis zu.
In der Linken gibt es die These, dass der Finanzmarkt deshalb so stark gewachsen sei, weil das produktive Kapital in der Krise stecke. (10) Die Profitraten sinken im sogenannten Realkapital und eine Investition werde daher immer unattraktiver. Daher, so die linken Krisentheoretiker, wandert das Geld in den Finanzmarkt. Überspitzt zusammengefasst heißt die These: Gerade weil das herkömmliche Kapital nicht mehr gut funktioniert, wächst das Finanzkapital. In einem gesonderten Papier soll diese These zu einem späteren Zeitpunkt kritisiert werden. Hier soll nur auf den Unterschied zur vorliegenden Krisenerklärung hingewiesen werden, die sich so zusammenfassen lässt: Nicht weil das produktive Kapital so schlecht funktioniert, wächst der Finanzüberbau, sondern weil das Wachstum von Konjunktureinbrüchen abgesehen, an die sich jeder gewöhnt hat, so stabil und gut funktioniert. Weil Arbeiter in den Industriezentren so gut erzogen sind und kaum kapitalschädliche Streiks anzetteln. Weil auf der ganzen Welt kaum noch Flecken existieren, die sich dem Zugriff von ausländischem Kapital widersetzen. Die letzten beiden Sachen hat der „Westen“ in den letzten Jahrzehnten hervorragend mit Gewalt und darauf basierender wirtschaftlicher Erpressung herbeiregiert. Das hat die Finanzmärkte beflügelt.


6. Ein ökonomisches Zwischenfazit
Unter der Hand ist im vorherigen Punkt zur Erklärung der Fähigkeit des Finanzgewerbes, aus Schulden ein Vermögen zu errechnen, die Kritik am Finanzgewerbe mitgeliefert worden. Zum besseren Verständnis soll letztere noch mal deutlich gemacht werden: An der kapitalistischen Produktion und am kapitalistischen Handel kritisieren wir den bedürfnisfeindlichen Zweck. Nicht erst die Verteilung des Reichtums, sondern die Gründe, warum und ob eine Produktion angeschoben wird, stören uns. Weiter die daraus folgenden Leiden der Lohnabhängigen, die den abstrakten Reichtum schaffen müssen oder aber ganz ohne Geld dastehen, weil sie für die Geldvermehrung nicht gebraucht werden. Am Finanzgewerbe kritisieren wir daher auch nicht, dass es gerade seiner angeblichen eigentlichen Aufgabe nicht nachkomme, die Unternehmen mit Kredit auszustatten. Vielmehr kritisieren wir das Finanzgewerbe dafür, dass es selber mit der Kreditvergabe den bedürfnisfeindlichen Zweck der kapitalistischen Produktion unterstützt und selber als Auftraggeber der Geldvermehrung mitwirkt, wenn es den Zins verlangt. An den höheren Sphären des Finanzgewerbes, in dem es dann Schulden, kurz Rechtstitel auf zukünftige Zahlungen und Gewinne, als Werte hochrechnet und handelt, ist auch nicht die besondere Instabilität dieses Gewerbes unsere Sorge. Vielmehr stört uns die Vorwegnahme zukünftiger Reichtumsproduktion, die da gehandelt wird und deren schädliche Wirkung auf diejenigen, die diesen Reichtum schaffen sollen. Und damit sind nicht die Unternehmen, sondern eben die Lohnabhängigen gemeint. Das Finanzkapital rechnet sich Schuldtitel als Vermögen an, auf dessen Grundlage neuer Kredit geschaffen wird, welcher sich wieder als Vermögen anrechnen lässt. Die Zinszahlungen der Schuldner haben jetzt die Aufgabe durch pünktliches Bedienen der Schuld und entsprechende Erträge, dem Finanzkapital ihre Kapitalisierung glaubwürdig zu machen, d.h. die Gleichung von Schuld und Vermögen zu bestätigen. Das Verfahren, sich von wirklich verdientem Geld unabhängig zu machen, hängt so vermittelt durch Kapitalakkumulation von den Unternehmen ab. Die Fähigkeit des Finanzkapitals, sich von in der Gesellschaft verdientem Geld unabhängig zu machen, führt also keineswegs dazu, dass sie beim Eintreiben des Zinses „lockerer“ werden. Umgekehrt: Gerade weil es immer neue Werttitel schöpft, deren Glaubwürdigkeit an dauerhaften Zinsströmen hängt, erhöht sich der Anspruch an das Basisgeschäft der Unternehmen. Wenn alles von diesen Prinzipien abhängt, dann gibt es das bekannte Ergebnis im funktionierenden Kapitalismus, dass die Potenzen, alle materiellen Bedürfnisse zu befriedigen und gleichzeitig die Arbeitszeit zu senken, fortlaufend gesteigert werden. Weil diese Potenzen aber nur für den Profit eingesetzt werden, kann man eben eine Verarmung der Lohnabhängigen beobachten und eine Hetze am Arbeitsplatz, die sich gewaschen hat. In der Krise geht es allen noch mal schlechter. Der Grund ist einfach: Dass alles dem Profit untergeordnet ist und nur stattfindet, wenn der Profit es gebietet, gilt eben auch in Krisenzeiten. Weil der Profit aber schrumpft, kommen alle Wirkungen des gut laufenden Kapitalismus noch mal extra hart zum Vorschein: In dem Moment, wo die Potenzen, nützliche Sachen herzustellen, am weitesten entwickelt sind, stehen plötzlich ganze Fabriken still, weil es sich nicht lohnt. Daher werden auch massenhafter Leute auf die Straße geworfen und einer besonderen Armut ausgeliefert. Diejenigen, die noch gebraucht werden, werden mit extra harten Lohnkürzungen, einer besonderen Arbeitshetze und mit neuen Überstunden konfrontiert. Die Forderung an den Staat, er möge doch die Finanzmärkte so regulieren, dass diese nicht destabilisierend wirken, lehnen wir deshalb nicht ab, weil wir meinen, dass dies tendenziell gar nicht geht, sondern weil wir an funktionierenden Finanzmärkten und funktionierender kapitalistischer Produktion nichts Positives entdecken.


7. Der Blick der Politik auf die Leistung des Finanzgewerbes
Das Finanzkapital ist ein wesentlicher Motor für das Wirtschaftswachstum, indem produktive und kommerzielle (Handels-) Kapitale bei ihren Investitionen nicht mehr nur auf ihre eigenen Gewinne angewiesen sind. Mit Krediten, Anleihen und Aktien können Unternehmen ihre Investitionen ausweiten, ohne dabei auf bisher erwirtschaftete Gewinne beschränkt zu bleiben. Weiter können Waren auch dann verkauft werden, wenn die Käufer noch gar nicht zahlungsfähig sind. Der Handelskredit macht es möglich. Diese Leistungen des Finanzkapitals werden von Seiten der Politik gewünscht und daher auch gefördert. Alle Unternehmen nehmen Kredit in Anspruch, die Verschuldung ist bei ihnen die Normalität. Daher gibt es dann auch in der Finanzkrise den Rückschlag auf´s gesellschaftliche Kapital. Aber auch die einfache Geldzirkulation vom Lohn bis zum Ersparnis läuft über die Banken und wird von diesen in die höheren Ebenen der Finanzgeschäfte verwickelt. (11) Daher machen sich rückwirkend die Probleme der Banken bis zu den elementaren Grundlagen der Geldzirkulation, wie etwa eine Lohnüberweisung geltend, so dass mancher überlegt, sein Geld von der Bank abzuziehen. Was heute in der Öffentlichkeit nochmal extra bemerkt wird, ist, dass das Finanzkapital Techniken entwickelt hat, die rein selbstbezüglich sind und ausgerechnet hier was auffliegt, was dann eine Rückwirkung auf die Gesellschaft hat. Das blöde Ideal, das verfolgt wird und an dem das Finanzkapital kritisiert wird: Frei machen von wirklichem Geld bitte gerne, aber nur für die „Realwirtschaft“ und nicht einfach so die Banken untereinander. In manchen Staaten hat das Finanzgewerbe einen solchen Bilanzumfang angenommen, dass es einen eigenen beachtenswerten Bestandteil der nationalen Wirtschaft darstellt. In diesen Staaten ist der Blickwinkel anders: Die Krise des Finanzgewerbes bringt nicht die „andere eigentliche Wirtschaft“ in Gefahr, sondern ist selber die nationale Wirtschaftskrise.


8. Die Staaten greifen ein – als wäre die Finanzkrise ein Liquiditätsproblem
Die Staaten reagieren auf die Krise in einer Weise, dass sie einfach den Banken umfangreicher und einfacher als bisher Geld über die Notenbanken zur Verfügung stellen. Sie bemerken gleichzeitig, dass die vergangenen Finanzspritzen die Krise nicht aufgehalten haben. Der Grund dafür liegt darin, dass die Banken das Geld horten, um zahlungsfähig zu sein, weil die Refinanzierung untereinander nicht gewährt wird. Das Geld wird derzeit nicht als Kapital gebraucht, sondern als Zahlungsmittel. Der Staat setzt also neue ökonomische Rahmenbedingungen, wie die sich aber auswirken, hat er nicht in der Hand. Man beachte in diesem Zusammenhang das bunte Durcheinanderwürfeln der Begriffe „Geld“ und „Kapital“, wenn in den Zeitungen über die staatlichen Spritzen geredet wird. Objektiv geben die Staaten den Banken kein Kapital, sondern bloß Geld. Ob aus dem Geld dann bei den Banken Kapital wird (= ein Kredit wird vergeben) oder aber Geld bleibt (= damit werden nur alte Schulden bezahlt), hängt von den Banken ab, und deren Entscheidungen hängen von den oben beschriebenen Zirkeln ab.


9. Sicherheiten geben – in Konkurrenz und gemeinsam

Mittlerweile haben sich die Unterstützungsaktionen verfeinert. Zusätzlich zu den Geldern, welche die europäische und die amerikanische Notenbank den Banken mit niedrigen Zinsen zur Verfügung stellen, haben die Staaten Hilfsprogramme aufgestellt, welche den Banken Bürgschaften geben oder neues Eigenkapital, indem die Staaten sich selber als Eigentümer in die Banken einbringen. Auch Bilanzregeln werden verändert, indem das, was gestern noch Schummelei gewesen wäre, heute legal ist. Der Staat bringt sich als oberste Gewalt und Herr über das jeweilige Geld ein, um das verloren gegangene Vertrauen in die wechselseitige Kreditierung wieder herzustellen. Seine Position als der Letzte in einer Gesellschaft, der im Zweifelsfall noch zahlungsfähig ist, soll die Sache, die gerade als äußerst unsolide Geschäftspraxis kritisiert wurde, wieder in Gang bringen. Das bringt neue Gesichtspunkte in die Spekulation des Bankgewerbes, welche die Sache nicht unbedingt wieder flott macht, sondern deren Krise anheizt. Denn die stabilisierende Seite der Staatsaktivitäten hat zugleich eine destabilisierende: Erstens nehmen die Banken die Hilfsangebote des Staates gar nicht so überschwänglich an. Die Annahme der Staatshilfen, so die Überlegung der Banken, kann erst recht von der übrigen Geschäftswelt als Ausweis genommen werden, dass die hilfesuchende Bank über die Maßen hinaus Probleme hat. Eine Bank, die Staatshilfen in Anspruch nimmt, ist ja erstmal ein reiner Sanierungsfall und keine Investitionsgelegenheit, der man Kredite gibt. Zweitens aber könnten diejenigen Banken, die keine Hilfe in Anspruch nehmen am Ende einen Wettbewerbsnachteil haben, während der Krise und erst Recht wenn die Krise überstanden ist. Wegen dem letzten Gesichtspunkt sind die Staaten auch nicht einfach froh darüber, wenn andere Staaten ihre Banken unterstützen und damit das Kreditwesen insgesamt (also auch das der Konkurrenznationen) stabilisieren. Wenn Deutschland sich hinstellt und verspricht, alle Spareinlagen bis 20.000€ zu 100% zu garantieren, während England überhaupt nur für 20% einstehen will, dann wandern halt viele Gelder von England nach Deutschland und England hat dann mit seinen Banken erst Recht ein Problem. Genauso wie in Zeiten des weltweiten Aufschwungs ist auch in der Krise die Staatenkonkurrenz aktiv und alle Staaten versuchen auf Kosten anderer Nationen den Schaden bei sich zu minimieren. Das heizt die Krise wiederum an, so dass sich die weltweit wichtigen Staaten doch zumindest mal treffen, um über abgestimmte Programme zu reden, die das Finanzgewerbe retten sollen, von dem sie alle mit ihren kapitalistischen Wirtschaften abhängen. Dies sehen alle Staaten und die großen Player wie EU und USA im Besonderen, zugleich als Konkurrenzarena, in der es darum geht, besonders gute Konditionen für sich rauszuschlagen.


10. Der Übergang in den Staatsbankrott und der IWF
Die Rettungsmaßnahmen des Bankgewerbes werden von den Staaten über die Staatsverschuldung finanziert und die Effekte bei manchen Staaten zeigen, dass moderne Währungen selber Kreditcharakter haben und daher selber vom Finanzkapital abhängen. Das Geschäftsprinzip, alte Schulden durch neue Schulden zu finanzieren, beherrschen die Staaten nämlich am besten. Dieses Prinzip funktioniert bei ihnen aber auch nur solange, wie die Banken wiederum die ausgegebenen Staatsanleihen als sichere Investitionsgelegenheit betrachten. Hier haben derzeit einige Staaten damit zu kämpfen, dass ihre Staatsanleihen nur zu höheren Zinsen an die Geschäftswelt gebracht werden können. Diese wiederum wird darüber zunehmend misstrauisch gegenüber weiteren Schulden. In dem Maße, wie dieses Misstrauen sich verallgemeinert, zieht sich das Finanzgewerbe nicht nur aus dem Handel mit den entsprechenden Staatsschulden, sondern gleich ganz aus den nationalen Währungen zurück. Weil die betroffenen Staaten (zunächst Island, mittlerweile eine ganze Reihe von Staaten) ihre Währungen nicht mehr durch neue Schulden stützen können, fällt die Währung und ein Staatsbankrott droht. Für den Fall der Fälle wurde in den Nachkriegsjahren der Internationale Währungsfonds (IWF) gegründet. Er soll politischen Kredit gewähren, damit kein Land der Welt wegen Zahlungsschwierigkeiten aus dem Welthandel aussteigen muss. Und zwar mittels des weiteren politischen Auftrag der Geldgeber an den IWF, welche die „Gewinner“ des Welthandels umfasst, die betroffenen Länder für ausländische Kapital zu öffnen, Sozialprogramme einzufrieren usw. Dass diese berüchtigten IWF-Programme bei den betroffenen europäischen Ländern diesmal nicht angewandt werden, zeigt nur, dass die europäischen potenten Geldgeber wie Deutschland, Frankreich oder England selber nicht glauben, dass die IWF-Auflagen eine positive Entwicklung in den Ländern befördern würden. Die Gelder des IWF stammen von den „Gewinnern“ des Weltmarktes. Diese Gelder werden aber wiederum auf Grundlage von Staatsverschuldung geschöpft und nicht einfach per neuer Steuern erhoben. In dem Maße also, wie anderen Staaten „geholfen“ werden soll, setzen sich die Geberländer selber dem Verdacht aus, dass sie über Gebühr ihre Kreditfähigkeit missbrauchen und einst mal selber in den Verdacht geraten könnten, dass ihre Währung eigentlich nicht mehr viel wert ist. Daher ist der IWF bei der Kreditvergabe sehr knauserig gewesen, wie derzeit gut zu beobachten ist.

11. Ein politisches Fazit
Die staatlichen Aktivitäten in einer Finanzkrise zeigen deutlich, dass das Finanzgewerbe eine politisch lizensierte Angelegenheit ist, wie jede andere wirtschaftliche Einkommensquelle im Kapitalismus auch. Politisch ist vom Funktionieren des Kreditwesens alles andere abhängig gemacht und deshalb versucht die Politik alles, um das Kreditwesen wieder in Gang zu kriegen. Woraus sich auch erklärt, warum auf einmal Milliarden zur Verfügung stehen, an anderer Stelle aber weiterhin „Sparzwang“ angesagt ist. Und von diesem wirtschaftspolitischen Balanceakt, der sich in der Konkurrenz gegen andere Nationen richtet, sind alle abhängig gemacht. Dafür werden systemgerecht die Lohnabhängigen gerade stehen müssen: Möglichst keine Lohnerhöhungen fordern, sondern am besten noch Abstriche machen; als „Nutznießer“ von Sozialleistungen, wenn wieder gespart werden muss; als Steuerzahler sowieso, weil eben nicht „wir“ die Steuern bezahlen, sondern diejenigen, von denen die Politik meint, dass sie ihr Geld eh nur unproduktiv verfressen (in den letzten Jahrzehnten wird der Staatshaushalt, soweit es um Steuern geht, zunehmend von Lohnabhängigen finanziert). Von der Inflation sind diejenigen mit Verträgen über feste Geldzahlungen ebenso als erste betroffen (im Durchschnitt ist der Reallohn trotz nomineller Tariferhöhungen wegen der Inflation in den letzten Jahrzehnten gesunken). Darauf stimmt die Öffentlichkeit in Form diverser Medienbeiträge und politischen Reden ja auch gerade die Lohnarbeiter ein, indem sie sich im Ausmalen der düsteren Perspektive geradezu überschlägt, nachdem sie bis Mitte 2008 noch verkündet hatte, dass die „Realwirtschaft“ gar nicht von der Finanzkrise betroffen sein werde. Und natürlich führt der ganze Scheiß mal wieder zu einer höheren Verhungerquote in denjenigen Gebieten, die total von den Industriestaaten abhängen. Letztere müssen jetzt selbst auf ihren Kredit achten und werden sich deshalb die Betreuung des Elends in den niederkonkurrierten Ländern der 3, 4, und 5. Welt nicht mehr wie bisher leisten. Der Wahnsinn ist die Normalität, die Krise drückt das nur besonders aus!

 

Fußnoten:
1 Gleiches gilt für die Verlängerung der Problemdiagnose auf die Politik. Auch deren „Versagen“ beweist sich an nichts anderem als der Tatsache, dass der Kreditsektor gerade nicht nach Wunsch funktioniert.

2 Ähnlich bei der Hypo Real Estate, die in Deutschland für Furore sorgte. Auch diese Institution hat keine Kundengelder wie etwa die Deutsche Bank oder die Sparkasse. Die irische Tochter Depfa, für die die Hypo Real gerade steht, ist ähnlich wie Lehman im Geschäft mit langfristigen Krediten, welche durch kurzfristige Kredite finanziert werden. Man erfährt, dass die Depfa jährlich 50 Mrd. Euro kurzfristiger Kredite umschlägt, um ihr Geschäft zu refinanzieren.

3 Um einem Missverständnis vorzubeugen: In den USA gibt es eine gesetzlich erzwungene Trennung des Investmentgeschäftes und anderen Bankgeschäften. In Europa ist das nicht so. Hier hat fast jede Bank eine Investmentabteilung neben den anderen Bankgeschäften. Investmentbanking ist also kein amerikanisches Sonderphänomen, es tritt bzw. trat dort nur in Reinform auf.

4 Laut dem Insolvenzgericht saß Lehman Brothers auf einem Schuldenberg von 613 Mrd. Dollar, so berichtet das Handelsblatt am 15.09.2008.

5 Die Behandlung einer Schuldforderung als Vermögen ist das, was Marx das „fiktive Kapital“ genannt hat.

6Marx unterscheidet den stofflichen Reichtum vom abstrakten Reichtum. Mit stofflichem Reichtum ist das Vorhandensein von konkret nützlichen Sachen gemeint, z.B. das Auto, mit dem man sich fortbewegen kann oder ein Computer, mit dem man diesen Text schreiben kann. Der abstrakte Reichtum dagegen bestimmt die Eigenschaft einer Sache, mit ihr auf alle möglichen Sachen zuzugreifen, die sich im fremden Privatbesitz befinden. So haben Autos in dieser Gesellschaft bekanntlich die Qualität, dass man dafür Geld bekommen und darüber auf alle möglichen Sachen zugreifen kann. Der abstrakte Reichtum ist also „gesellschaftliche Zugriffsmacht“, Inbegriff ökonomischer Herrschaft im Kapitalismus: „Jedenfalls steht auf dem Warenmarkt nur Warenbesitzer dem Warenbesitzer gegenüber, und die Macht, die diese Personen über einander ausüben, ist nur die Macht ihrer Waren.“ Karl Marx, Kapital Bd. 1, MEW 23, S. 174. „Das Geld ist aber selbst Ware, ein äußerlich Ding, das Privateigentum eines jeden werden kann. Die gesellschaftliche Macht wird so zur Privatmacht der Privatperson.“ (S. 146). Die bürgerliche Volkswirtschaftslehre sieht dagegen im Tausch und im Geld Hilfsmittel zur Lösung eines „volkswirtschaftlichen Koordinationsproblems“. Umso erstaunlicher ist, wenn auch ein Fan der Marktwirtschaft die gesellschaftliche Qualität des Geldes ausnahmsweise beim Namen nennt: Geld ist „(…) eine Verfügungsgewalt über den aktuellen Output.“ Wolfgang Gey, Globalisierung und Marktrisiko in der monetären Theorie. Regensburg 2006, S. 69. (Alle kursiven Hervorhebungen von j.l.).

7 So hat Lehman Brothers in Deutschland bei Gemeinden und Kommunen Werbung gemacht, indem sie ihnen 5,11% Zinsen angeboten haben, wenn sie der Bank kurz- oder mittelfristig Geld überlassen. Dagegen hat die Deutsche Bank nur ein Angebot von ca. 4,9% gemacht. Diejenigen Kommunen, die in letzter Zeit auf das attraktivere Angebot von Lehman eingegangen sind, kriegen jetzt ihr Geld nicht pünktlich zurück und unklar ist, ob das Geld überhaupt zurückkommt. Ein Kommentator in einer Zeitung beklagt, dass die Kommunen gar nicht gefragt hätten, woher Lehman den Zinsgewinn herkriegt. So als wenn bei der Deutschen Bank schon alle wüssten, wo dort der Zins herkommt.

8 Das würde sich übrigens auch nicht ändern, wenn die Arbeiter als Kooperativen den Betrieb selbst besitzen würden und in Konkurrenz gegeneinander antreten. Selbstausbeutung wäre dann gefragt.

9 An dieses Phänomen dockt die Alimentierung an, wenn Kirchen, das DRK usw. Spenden oder Kleider sammeln für diejenigen, die kein Geld haben. Hier wird nicht der Grund der Armut angegriffen, sondern versucht, die Resultate der Produktion für den Markt durch Umverteilung abzumildern. Abgesehen davon, dass diese moralischen Instanzen von der Armut leben, weil Mildtätigkeit nur dann dauerhaft geht, wenn es Armut dauerhaft gibt: Wenn der Zweck aller Mitglieder dieser Gesellschaft die private Bereicherung gegen andere ist, muss man sich auch nicht wundern, wenn nicht genügend Geld zusammen kommt, um aus den mittellosen Menschen versorgte Menschen zu machen.

10 Bei Attac immer mal wieder zu finden und natürlich bei seinem wissenschaftlichen Beistand Elmar Altvater, Bruch und Formwandel des Entwicklungsmodells, in Jürgen Hoffmann (Hrsg.): Überproduktion, Unterkonsumtion, Depression, Hamburg 1983, S. 234/235.

11 Eine weitere Grundlage der besonderen Kreditwürdigkeit der Banken: Sie verfügen über alles Geld der Gesellschaft. Alle Geld- und Kreditbewegungen laufen über die Banken. Das verschafft ihnen die Potenz mit der geschickten Umschichtung von Geldzu- und abflüssen so zu hantieren, dass ihr eigenes Geld relativ unbedeutend wird für die ständige Bezahlung von Zinsen und dem Vergeben von Krediten.

 

Ein Text von Junge Linke (2009)