15.04.2022 PDF

Von Lenin zu Lucke, Teil 2: Erfolg als Argument – die unschönen Konsequenzen eines linken Fehlers mit großer Tradition.

 

Disclaimer: Der Text wurde von der Frankfurter Gruppe von GKN – Antinationale Linke in Frankfurt (ALiF) – verfasst. Auf diesen Text konnten sich GKN insgesamt nicht einigen, da es Dissense über die Herleitung der Gedanken aus dem üblichen linken Denken gab, und über die Einschätzung, wie die Abweichungen von Wagenknecht zur üblichen linken Politik qualitativ einzuschätzen sind.

 

Im 1. Teil unserer Rezension haben wir uns damit beschäftigt, wie Wagenknecht die Welt sieht. Die Übereinstimmung mit dem Weltbild der radikalen Rechten – mit all seinen Fehlern, ideologischen Sichtweisen, Ressentiments, Verdrängung unbequemer Tatsachen und Selbstviktimisierung – ist dabei kein Zufall und auch kein Irrtum. Sie ist auch mehr als eine eklige Frucht strategischer oder taktischer Berechnung. Sondern eine, wenn auch nicht die einzig mögliche, aber folgerichtige Konsequenz aus dem Nationalismus und der Sorte moralischer Gesellschaftskritik, die Wagenknecht mit vielen Leuten teilt – auch mit vielen, die sich selbst für „links“ halten.

Der Ausgangspunkt von Wagenknecht: Wer keinen Erfolg hat, muss was falsch machen! Sonst hätte er ja Erfolg!

Das eigentlich Interessante an dem Buch von Wagenknecht ist, wie sie eigentlich zu ihrer Kritik an der Linken kommt. Und da ist das Buch erstaunlich offen: Eigentlich, so findet Wagenknecht, müsste die Linke enorm erfolgreich sein. Denn die Verhältnisse, sie sind eben so: Während die Reichen immer reicher werden, ist das Leben eines größeren Teils der Arbeiter*innenklasse in allen Ländern seit mehr als 40 Jahren deutlich schlechter geworden. Eine Politik, die vor allem auf „Privatisierungen, Sozialkürzungen oder Steuersenkungen für Reiche“ (S. 45) setzte, „machte einige reicher und viele ärmer“ (S. 68): prekäre und unsichere Arbeitsverhältnisse, Verdichtung der Arbeit, sinkende Reallöhne, steigende Mieten und Verdrängung, Abbau sozialer Leistungen, und zum Schluss noch nicht einmal die Aussicht, einigermaßen vernünftig von der Rente zu leben. Kurz: Viele Leute müssen „um ihr bisschen Wohlstand viel härter kämpfen [...], so sie überhaupt welchen haben“ (S. 28).

Das alles beklagen Linke seit Jahrzehnten, und das wird ja nicht falsch, nur weil Wagenknecht das auch sagt.

Die Klage von Wagenknecht ist aber nur Auftakt zur Feststellung, dass die linken Parteien von dieser Misere nicht profitieren, „obwohl es in der Bevölkerung längst Mehrheiten für eine andere Politik gibt“ (S. 17). Denn, so die Logik von Wagenknecht, und nicht nur von ihr: Weil die linken Parteien dies anprangern und Gegenkonzepte haben, müssten alle, die unter dieser Politik leiden, dann auch links wählen. Das tun sie aber nicht: „Die Wähler ergreifen die Flucht“ (S. 40), und die linken Parteien haben, selbst wenn sie sozialere Forderungen stellen, „deutlich schlechtere Ergebnisse“ (S. 42), kurz: Die eigentlich erwartbaren „Erfolge bleiben aus“ (S. 46).

Es ist aber noch schlimmer: Weil die Linken sich von den Neoliberalen eine neue Agenda haben aufschwatzen lassen, haben „vor allem Arbeiter und Geringverdiener“ gar „keine politische Vertretung mehr“ in den linken Parteien, weil diese nämlich „die Seiten gewechselt haben.“ (S. 331). „Das große Versagen der Linken, diese sozialökonomisch linke Mehrheit politisch zu erreichen“ (S. 195), ist also inhaltlich bedingt und „bereitet“ „den Boden“ (S. 11) für „rechte Terraingewinne“ (S. 12).

Also: Die Linke muss was falsch machen, sonst würden die Massen sie ja wählen! Und diesen Fehler ist Wagenknecht angetreten zu korrigieren. Und zwar so gründlich, dass vom ganzen linken Programm relativ wenig übrig bleibt.

 

Exkurs: Warum wechseln ehemalige Wähler*innen von SPD und Linken wirklich zur AfD?

Befragungen und Berechnungen legen nahe, dass neben den Leuten, die schon immer gerne rechtsradikal gewählt haben, und denjenigen, die einfach gar nicht zur Wahl gegangen sind, auch Teile der ehemaligen Wähler*innen von SPD und Linken heute AfD wählen. Dass diese Leute früher SPD oder Linke gewählt haben, ist aber überhaupt kein Hinweis darauf, dass sie früher in irgendeiner Weise „links“ gewesen sind. Die deutsche Sozialdemokratie hat seit 1914 ja nun wirklich keine Wünsche offen gelassen, sich als „nationale Opposition“ aufzuspielen. Zusammen mit den Gewerkschaften arbeitet sie seit 100 Jahren daran, den deutschen Arbeiter*innen klarzumachen, dass ihr schönes Vaterland am besten von Sozialdemokrat*innen regiert wird. Und dass für die „Wettbewerbsfähigkeit“ des „Standortes“ im Rahmen der „Globalisierung“ die Arbeitskräfte auf einiges verzichten müssen, hat sie dabei nie verschwiegen. Und darum als Regierungspartei immer brav jeden Verzichtsappell unterschrieben, den sie nicht gerade selbst aufgelegt hat. Sie hat vorher in der Opposition häufig Verbesserungen versprochen, die sich bei besserer Regierung einstellen würden, und diese von der Regierungsbank aus auf den St. Nimmerleinstag vertagt, mit einem bedauernden Hinweis auf allerlei Sachzwänge. So vorbereitete nationalisierte Wähler*innen finden es vermutlich wirklich einleuchtend, dass „die Ausländer“ ihnen Arbeitsplätze, Wohnungen, Sozialfürsorge usw. „wegnehmen“, auf die sie als gute Deutsche doch Anspruch zu haben meinen.

 

All das, aber etwas unprofessioneller, hat auch die PDS/Linke praktiziert. Bei ihr kam noch hinzu, dass sie sich als Fürsprecher für den beleidigten Nationalismus in Ostdeutschland angeboten hat. Die ganzen gelernten DDR-Bürger*innen fanden es sehr ungerecht, dass sie nicht als vollwertige Deutsche anerkannt wurden, sondern irgendwie nur Deutsche 2. Klasse waren und ihre Lebensleistungen und Erfahrungen in Neugroßdeutschland nicht so richtig gewürdigt wurden. Da hat die PDS einiges versucht – und einiges hat auch geklappt –, diesen Unmut als ostdeutsche Volkspartei für sich in Wahlstimmen umzumünzen. Dafür brauchte mensch nicht einen einzigen gesellschaftskritischen oder linken Gedanken. In den ganzen Landesregierungen hat die PDS/Linkspartei – ganz beglückt davon, zum Regieren endlich zugelassen zu werden – auch keine andere Politik als SPD und Grüne gemacht. Und fiel damit als Sprachrohr eines unzufriedenen Nationalismus ein bisschen aus. Wo die PDS Gerechtigkeit für Ostdeutsche im Namen des geeinten Vaterlandes eingefordert hat, erntet heute die AfD den gesamtdeutschen Nationalismus.

Dieser Nationalismus könnte prinzipiell bei jeder Partei heimisch werden. Aber weil die AfD eine für unzufriedene Nationalist*innen sehr eingängige Erklärung hat — es läuft nicht rund, weil antinationale Kräfte das holde Vaterland kaputtregieren und es zu wenig Nationalismus, aber zu viele Ausländer*innen gibt — wählen zumindest einige Leute nunmehr offen rechts. (Andere sind bei der Bundestagswahl 2021 zur SPD abgewandert oder zurückgekehrt. Das soll uns im Weiteren aber nicht weiter interessieren.)

 

Mehrheit gleich Wahrheit – oder zumindest Sieg.

Letztlich ist die Frage „warum haben die Linken keinen Erfolg“ nur eine Variante der alten falschen Frage „Warum machen die Arbeiter*innen keine Revolution?“, hier auf sozialdemokratisch: „Warum machen die Arbeiter*innen mittlerweile ihr Kreuzchen an der falschen Stelle?“. Wagenknecht meint es zu wissen: „SPD und Linke“ haben, weil sie die falsche Politik machen, „der AfD zu ihren Wahlsiegen verholfen und sie zur führenden ‚Arbeiterpartei‘ gemacht“ (S. 21).

Nun ist es nicht unbedingt falsch, sich die Frage nach erfolgreichem politischen Handeln zu stellen. Mensch will ja was erreichen, und nicht bloß Recht haben. Also ist es zum Beispiel sinnvoll, sich zu überlegen, wie mensch Leute erreicht und ob es zum Beispiel wirklich so eine brillante Idee ist, DIN-A2-Plakate mit einem ellenlangen Text in Schriftgröße 12 zu bedrucken und überall zu verkleben.

Was anderes aber ist es, den politischen Erfolg als Kriterium für die Richtigkeit von Argumenten zu nehmen. Dahinter steckt die Vorstellung, dass die richtige Theorie gleichzeitig eine Erfolgsgarantie ist: Nämlich, dass es immer gelingt, „Mehrheiten mit einem für sie attraktiven Programm anzusprechen“ (S. 17). Oder anders formuliert: Das Gute gewinnt zu guter Letzt. Das ist sicherlich eine prima Anleitung, um einen Fantasyroman zu schreiben, schwerlich aber eine sinnvolle Strategie für eine linke Bewegung. Denn die will ja hoffentlich nicht mit irgendetwas Erfolg haben, sondern mit ihren bestimmten Zielen. Und zwar nicht, weil diese so erfolgversprechend sind, sondern weil mensch sie für richtig hält. Und darum ist es kein Argument für irgendetwas, dass „große Teile oder sogar die Mehrheit der Bevölkerung“ bestimmte „Auffassungen“ für „richtig“ hält (S. 32) und schon gar kein Hinweis darauf, solche Auffassungen könnten gar nicht nationalistisch, rassistisch oder sexistisch sein.

Kritik an den Auffassungen der breiten Mehrheit der Bevölkerung – da ist mensch bei Wagenknecht aber von vornherein an der falschen Adresse. Wenn Forderungen „nicht den Hauch einer Realisierungschance“ (S. 37) haben, dann spricht das für Wagenknecht nicht etwa gegen die Realität, in der Vernünftiges nicht durchsetzbar ist, und die darum mal geändert werden muss. Sondern auf jeden Fall gegen die Forderungen, die ja wohl „überzogen“ (S. 37) seien. Wer nun zum Beispiel die Abschaffung von Sklaverei und Leibeigenschaft, die Emanzipation der Frau oder die Trennung von Staat und Religion für plausible Anliegen hält, sollte vorsichtig damit sein, sich mit Wagenknecht zu verbünden. Denn solche und ähnliche Forderungen hatten zunächst ja ebenfalls „nicht den Hauch einer Realisierungschance“. Bevor sie dann durch hartnäckige Agitation zu größeren Bewegungen wurden und in Kämpfen, manchmal sogar in Bürgerkriegen, manchmal auch durch Kriege durchgesetzt wurden.1 Und zwar regelmäßig gegen Leute, die – ganz wie Wagenknecht – von den schönen traditionellen Gemeinschaften und ihren Werten geschwärmt haben.

Entwickelt, diskutiert und gefordert wurden diese damals radikalen Forderungen zunächst immer in abgehobenen Zirkeln und schrägen kleinen Vereinen, „mit denen die meisten Menschen nichts zu tun haben wollten“ (S. 24). Für „radikale Splittergruppen“ (S. 24) aber hat Wagenknecht nun gar nichts übrig. Überhaupt: Menschen „ihre wahren Interessen [zu] erklären und ihnen [...] ihre Ressentiments und Vorurteile aus[zu]treiben“ (S. 29), hält sie nur für einen Ausdruck von „Überheblichkeit“ (S. 24) und „Verachtung“ (S. 29). Und nicht für das, was es ist: eine notwendige Voraussetzung dafür, dass aus den unteren Klassen dieser Welt noch mal was anderes wird als Manövriermasse von Staat und Kapital.

Damit ist Wagenknecht leider nicht allein. Auch anderen Linken, vor allem Leninist*innen und anderen Sozialdemokrat*innen, ist es nicht genug gewesen, für das zu werben und einzutreten, was sie für richtig hielten. Zusätzlich zu der Kritik, die sie mehr oder weniger treffend am Kapitalismus hatten, wollten sie auch noch das Versprechen, mit dieser Kritik auf jeden Fall irgendwann erfolgreich zu sein. Also: Auf der „richtigen Seite der Geschichte“ zu stehen, nämlich der siegreichen.

 

Testamentsvollstreckerin eines großen Irrtums: Die Massen sind eigentlich auf unserer Seite

Diese Siegeszuversicht, früher hieß das „historischer Optimismus“, gründet auf der Überzeugung, dass ein System wie der Kapitalismus, der den Menschen so übel mitspielt, unmöglich auf Dauer von diesen gewollt sein kann. Das meint auch Wagenknecht: „Eine ökonomische Ordnung, in der die Mehrheit von der Zukunft eher Verschlechterungen erwartet, ist keine zukunftstaugliche Ordnung“ (S. 16). Warum das so sein soll, bleibt ihr Geheimnis.2 Daraus folgt für Leute wie Wagenknecht, dass diejenigen, die die Menschen auf diese Schäden aufmerksam machen, ihnen die Ursachen erklären und konkrete Wege zur Abhilfe aufzeigen, von diesen Menschen begeistert als Helfer*innen und Retter*innen gefeiert oder zumindest aber gewählt und unterstützt werden müssten3. Zumindest so lange, wie sie „die Unterprivilegierten, die Menschen mit geringeren Bildungschancen und weniger Einkommen vertreten“ und deren „authentische politische Stimme“ (S. 97) sind.

Und das stimmt nicht. Zwar ist es so, dass im Kapitalismus die verschiedenen Klassen objektive Interessen und objektive Interessengegensätze haben. Wer Eigentum hat, versucht es zu erhalten und zu vermehren; wer kein Eigentum hat, die eigene Arbeitskraft möglichst gut zu verkaufen. Für die Arbeiter*innen heißt das Existenzunsicherheit4, Verschleiß von Körper und Psyche und für einen größeren Teil auch, dass am Ende des Geldes noch einiges an Monat übrig bleibt. Ein kluger Schluss daraus wäre, so ein System abzuschaffen, weil mensch erkannt hat, dass das nicht auf Managementfehler, die falsche Regierungspartei, die eigene Unfähigkeit oder „das Leben“ zurückzuführen ist. Sondern eben auf den Zweck der Wirtschaft im Kapitalismus (den Profit) und der Rolle der Lohnarbeiter*innen (Mittel für den Profit). Dieser kluge Schluss ist allerdings nicht sonderlich verbreitet, und er ergibt sich auch gar nicht automatisch aus der Bewältigung dieser schwierigen Lebenslagen.

Wagenknecht passt nicht in den Kram, dass für viele Linke „nicht mehr soziale und politökonomische Probleme“ im Mittelpunkt stehen, „sondern Fragen des Lebensstils, der Konsumgewohnheiten und moralische Haltungsnoten“ (S. 25). Stattdessen will sie „sich für die Armen und Entrechteten“ einsetzen und sich „für ihre Interessen stark“ machen (S. 29). Nun wäre es aber falsch zu glauben, dass 1. Leute die ganze Zeit über nichts als ihre Interessen im Kopf haben, wenn sie versuchen die Welt zu verstehen, und 2. ihre Interessen ein Grund zur Freude wären, weil diese Interessen sicherstellen würden, dass zum Schluss alle Menschen irgendwie links werden, da dies ja in ihrem materiellen Interesse sein muss. Vernünftig wäre dazu zu sagen, dass das Denken von Menschen nicht im luftleeren Raum stattfindet, und dass die materiellen Interessen von Menschen mit ihrem Denken in Zusammenhang stehen. Keineswegs ist es aber so, dass die ökonomische oder gesellschaftliche Lage automatisch ein richtiges Bewusstsein über eben diese Lage hervorbringen würde.

Fast schon im Gegenteil bringt der Wunsch, mit der eigenen Lage irgendwie klarzukommen, ziemlich regelmäßig eine ganze Reihe von falschen Gedanken hervor. Wer mit Arbeit Geld verdienen will, weil mensch dies in diesem System eben muss, der*die will dann eben häufig auch einen Arbeitsplatz und ein ‚menschliches‘ Unternehmen, das ihn anbietet. Der reale, immer wieder feststellbare Wunsch, in dem jeweils bestehenden System zurechtzukommen und sich mit ihm zu arrangieren, wird und wurde von Linken oftmals nicht recht ernst genommen. Sondern als prima Anknüpfungspunkt gesehen, um den Leuten zu zeigen, dass ihre Interessen in einer anderen, sozial reformierten oder gar sozialistischen Gesellschaft viel besser zu verwirklichen seien.

Gespart – und ihrem Publikum erspart – haben sich viele Linke damit eine Kritik der Beherrschten. Die entwickeln nämlich keineswegs automatisch „Widerständigkeit“ (S. 23), sondern nur allzu oft einen anpasslerischen Willen, sich in die bestehenden Verhältnisse einzufügen und in ihnen zurechtkommen zu wollen. Überhaupt ist vielen Linken nie so ganz klar geworden, dass Ideologiekritik nicht darin besteht und darum auch nicht dabei stehen bleiben kann, die Herrschenden als einen Haufen verlogener, selbstsüchtiger Dummschwätzer zu demaskieren, wie das z.B. Wagenknecht tut: „Viele große Erzählungen liefen darauf hinaus, Vorrechte und leistungslose Bezüge privilegierter Gesellschaftsgruppen so zu begründen, als würden sie dem Interesse aller entsprechen“ (S. 54). Das ist nicht mal in vorkapitalistischen Zuständen eine gute Kritik gewesen. Im Kapitalismus ist der Vorwurf der „Faulheit“ und der „Privilegien“ an Kapitalist*innen und Grundeigentümer*innen einfach nur falsch. Und moralisches Gewäsch, das die Systemlogik nicht im mindesten kritisiert, sondern über das Geschwätz von der „Leistung“ sogar noch bestätigt.

Ideologie ist nicht einfach nur ein Herrschaftsinstrument zur Irreführung der Massen. Das gibt es schon auch. Aber noch viel häufiger sind Ideologien der Versuch der Leute, sich einen Reim auf die Verhältnisse zu machen, ohne sie kritisieren zu müssen. Z.B. um das Selbstbild, ein ganz schön toller Mensch zu sein, der das Leben im Griff hat und von Erfolg zu Erfolg eilt – das viele Menschen ja gerne von sich hätten – aufrechtzuerhalten. Oder um das eigene Scheitern und die eigene Selbstbeschränkung zur Tugend zu erklären und daraus abzuleiten, dass „die da oben“ sich mehr um einen kümmern müssten. Oder nach Schuldigen zu fahnden, die die eigentlich guten Prinzipien missbrauchen oder sogar ausschalten – und die darum eigentlich auch nicht dazugehören würden.

Dieses Denken steht einer richtigen und vernünftigen Kritik dieser Gesellschaft und ihrer Prinzipien im Wege. Alle Agitation, die Menschen dazu bringen will, diese Gesellschaft infrage zu stellen, müsste diese – und andere – Formen der geistigen Selbstzurichtung kritisieren, ja attackieren. Und weil Leute bekanntlich sehr stolz auf „ihre eigene Meinung“ sind, müsste eine solche Agitation sich auch mit den Leuten streiten, anstatt ihnen nur zu versichern, mensch sei wirklich auf ihrer Seite und vertrete ihre wirklichen Interessen.

Mit der tröstlichen Gewissheit, dass die Beherrschten am Ende schon zu ihren wahren, linken Freund*innen finden würden, bräuchte mensch sich mit diesem ganzen Krempel nicht abzugeben. Sondern könnte – bewaffnet mit der Vorstellung, alle Probleme seien nur „lösbare Widersprüche im Volk“5 (Mao) — statt falsche Gedanken zu kritisieren, die Leute mit allerlei Kampfparolen, Ermutigungssprüchen und Komplimenten zu bezirzen versuchen.

Und das ist natürlich der unschlagbare psychologische Vorteil dieser falschen Vorstellung: Gesellschaftskritik mit Erfolgsgarantie. Das macht Mut, und selbst in den schlimmsten Situationen kann mensch sich mit Ton Steine Scherben trösten: Wenn die Nacht am tiefsten, ist der Tag am nächsten. Als Selbsttäuschung ist der historische Optimismus, das lässt sich wohl nicht bestreiten, ein echter Motivationsbooster. Er hat nur drei kleine Nachteile: 1. es stimmt einfach nicht. 2. steht er, weil er die Einigkeit dauernd voraussetzt, die erst erkämpft werden müsste, einer vernünftigen Agitation im Wege. Zusätzlich erteilt er 3. einen Freifahrtschein dazu, die Leute ruhig auch mit falschen oder zumindest nicht ganz richtigen Parolen und Argumenten für die gute Sache zu gewinnen. Denn das Happy End ist garantiert, und später fragt schon keiner nach dem Weg dahin. So haben größere Teile der Linken sich immer wieder versichert: Unsere Stunde, die wird kommen. Die falsche Theorie vom garantierten Erfolg hat 4. ein kleines, vergiftetes Bonbon anzubieten: Sie lässt eine*n die eigene Ohnmacht vergessen, und enthält die schöne Botschaft: es kommt auf Dich und dein Tun an, wie schnell wir unser Ziel erreichen. Das Gift darin: Klappt’s nicht, hat’s an Dir/Euch/uns usw. gelegen.

Wagenknecht nun gibt sich mit der Illusion, die Massen seien eigentlich auf der Seite der Linken, und würden da schon drauf kommen, nicht mehr zufrieden. Mit Lenin war sie mal der Ansicht, mensch müsse die Leute da abholen, wo sie stehen. Nur: Mit dem Abholen hat sie mittlerweile ein Problem, weil sie gar nicht wüsste, warum die Leute woanders hin sollten als da, wo sie gerade sind. Oder anders ausgedrückt: Wagenknecht ist der Meinung, dass die Ansichten der „einfachen Leute“ eigentlich schon das ganze linke Programm sind. Nämlich: „diese Menschen zu respektieren und sich einfach für ihre Interessen stark zu machen“, „Heimatverbundenheit“, „religiöser Glauben“, „Wertschätzung von Traditionen“ und „Nation“ (S. 95) z.B. gehören respektiert, und nicht etwa kritisiert, denn, wie bereits zitiert, haben Linke nicht anderen „ihre wahren Interessen [zu] erklären und ihnen [...] ihre Ressentiments und Vorurteile aus[zu]treiben“ (S. 30).

Dass Gleichungen immer auch umdrehbar sein müssen, hat uns unser Mathelehrer beigebracht: Wenn gilt

richtiges Linkssein = Positiver Bezug auf wirkliches Massenbewusstsein

dann gilt natürlich auch:

Positiver Bezug auf wirkliches Massenbewusstsein = richtiges Linkssein.

Es dürfte ja auch sehr viel einfacher sein, die Partei dem Volk anzupassen, als umgekehrt.

Und so wird aus dem kritisch daherkommenden, aber tatsächlich völlig unkritischen Sich-Einschmeicheln ein ganz und gar unkritisches Sich-Anschmiegen an das, was die Leute sich so den lieben langen Tag über Gott und die Welt zusammendenken.

 

Das Lob der ehrlichen Knechte und Mägde: Lauter vergiftete Komplimente für die Anpassungsbereitschaft der unteren Klassen

So unzufrieden Wagenknecht mit den Programmen der linken und sozialdemokratischen Parteien ist, so zufrieden, ja voller Lob ist sie für das Denken, Meinen und Fühlen der „normalen Menschen“ in diesem schönen Land. Und weil sie den Verdacht hat, dass sie damit ziemlich alleine ist, ist ihr Buch voller Streicheleinheiten für die tiefen anthropologischen Weisheiten, die sich in dem moralischen Bewusstsein des modernen Proletariats verbergen.

Anders ausgedrückt: Sie ist schon deswegen dagegen, den unteren Klassen, „ihre wahren Interessen [zu] erklären und ihnen [...] ihre Ressentiments und Vorurteile aus[zu]treiben“ (S. 30), weil sie der Ansicht ist: Die kennen ihre „wahren Interessen“ längst, und ihre „Ressentiments und Vorurteile“ sind Ausdruck dieser wahren Interessen, weil sie gar keine „Ressentiments und Vorurteile“ sind, sondern allgemein menschliche, nahezu ewig gültige Wahrheiten.

 

Exkurs: Ja, so warn's, die alten Rittersleut' oder: Im Mittelalter war's überraschend nett!

Wagenknechts Idealisierung der Vergangenheit macht vor nichts Halt. Alles vor dem Kapitalismus war irgendwie besser, selbst das Mittelalter. „Die Bewirtschaftung der Gemeingüter im Mittelalter funktionierte, weil es überschaubare, klar abgegrenzte Dorfgemeinschaften waren, die Zugang zu ihnen hatten. Ein solches System ist stabil, solange sich alle an die Regeln halten.“ (S. 210). Oder noch etwas idyllischer: „Das Leben dörflicher Gemeinschaften im Mittelalter beruhte über Jahrhunderte auf der gemeinsamen Nutzung von Schafweiden, Wäldern oder Seen, ohne dass es jemals zu den von den Ökonomen vorhergesagten Zerstörungen gekommen ist. Die Menschen gingen stattdessen sehr verantwortungsvoll mit dem gemeinsamen Gut um.“ (S. 208)

Ach, was war das für eine schöne Zeit. Na gut, da gab es Feudalherrn und Leibeigenschaft, Hörigkeit und Abgaben, Frondienste und Kirchenzwang – aber alles total gemeinsam!

Nun ist die Kritik an vorkapitalistischen Produktionsweisen ein etwas luxuriöses Vergnügen. Flugblätter gegen Pharaonen, Oberpriester, Mogule, Patrizier und Feudalherren hätten etwas leicht absurdes, denn diese Leute sind tot, ihre Herrschaft und ihre Herrschaftsideologien sind weitgehend erledigt, und nur noch für Historiker*innen interessant.

Allerdings zeigt sich, nicht nur bei Wagenknecht: Wer die bestehende nationale Herrschaft und die existierende kapitalistische Gesellschaft rechtfertigen will, holt gerne mal weit historisch aus. Und wer eine romantische Kapitalismuskritik hat – Marke: früher war's besser, weil die Moral höher war – landet dann ganz sachgerecht in sehr romantischen Zeiten, wie zum Beispiel im europäischen Mittelalter. Da werden die Verhältnisse von früher und ganz früher zu Kronzeugen dafür aufgerufen, dass Herrschaft und Ausbeutung ganz normal und, wenn gut organisiert, auch im Interesse der Beherrschten und Ausgebeuteten seien. Wie sich der nationalstaatlich organisierte Kapitalismus im Leistungsvergleich der Herrschafts- und Ausbeutungsordnungen so macht, da gibt's dann Unterschiede. Wagenknecht findet da einiges im schönen Mittelalter und in den goldenen 1950er bis 1980er Jahren, als er nicht so kapitalistisch gewesen sei, besser als heute. Andere haben andere Zeiten als Vorbilder, oder finden heute alles total gut. Mit der Vergangenheit, der kapitalistischen, wie der vorkapitalistischen, hat das alles nur so zu tun: als Selbstbedienungsladen für lauter schöne Vergleiche: „noch nie“, „immer schon“, „schon mal“ und „immerhin“. Mit denen kann mensch sich die Befassung mit der eigentlichen Sache, nämlich wie es heute aussieht, ersparen. Und zugleich der Moral, die mensch vertritt, „höhere“, nämlich angeblich historische, Weihen verleihen.

 

Denn mit Moral und Werten, so weiß Wagenknecht, läuft's einfach besser. Und da hat sie einiges auf Lager – und ziemlich viel auszusetzen, an den vorlauten und verwöhnten Blagen, z.B. von Fridays For Future und Black Lives Matter. Die wurden nämlich „von umsorgenden, meist gut situierten Helikoptereltern so sanft ins Leben begleitet [...], dass sie existenzielle soziale Ängste und den aus ihnen erwachsenden Druck nie kennengelernt“ (S. 26) haben. Solche Ängste werden von den Aktivist*innen von FFF und BLM nach Ansicht von Wagenknecht mit „Kälte“ und „Mangel an Mitgefühl“ abgebügelt (S. 34). Kein Wunder, dass die frechen Gören sich dann noch über die schönen Werte der hart arbeitenden unteren Schichten lustig machen:

„Stolz auf die eigene Arbeit“ (S. 62), „Leistung“, „Fleiß“, „Disziplin“, „Ordnung“, „Sicherheit“, „Stabilität“, „Normalität“, „Professionalität“, „Gründlichkeit“, „Solidität“ (alles S. 63), „Sesshaftigkeit“, „Heimatverbundenheit“ und der „Anspruch, etwas für die Mitmenschen Sinnvolles, Nützliches zu schaffen“ (alles S. 83), „Gemeinsinn“, „Solidarität“, „Mitverantwortung für das Gemeinwesen“ (alles S. 215) „Anstand“, „Maßhalten“, „Zurückhaltung“, „Zuverlässigkeit“, „Treue“, „Anstrengung“, „Genauigkeit“ (alles S. 220)6.

Für Wagenknecht sind das alles „Produkt[e] von Gemeinschaftserfahrungen, denn Menschen mit solchen Eigenschaften können vertrauensvoller und besser zusammenleben und -arbeiten. [...] In einer arbeitsteiligen Wirtschaft arbeitet es sich einfach besser zusammen, wenn man sich darauf verlassen kann, dass der andere nicht pfuscht.“ (S. 220)

Kein Gedanke für Wagenknecht, sich zu fragen, was für eine merkwürdige Arbeitsteilung das ist, in der Leute allen Ernstes den Vorsatz brauchen, „etwas für die Mitmenschen Sinnvolles, Nützliches zu schaffen“ (S. 83). Eine vernünftig geplante, auf wechselseitigen Absprachen beruhende Arbeitsteilung kann es ja schon mal nicht sein, sonst würde sich das Problem hier gar nicht erst stellen. Denn warum sollte jemand die eigene Arbeitszeit damit verschwenden wollen, etwas Sinnloses oder Unnützes herzustellen? Es sagt doch auch etwas über eine Gesellschaft aus, wenn das Interesse und die Freude, mit anderen Menschen zusammen zu leben und zu arbeiten, und die vernünftige Einsicht, dass das doch besser ist, nicht genügen. Sondern wenn mensch das auch noch in Werte wie „Gemeinsinn“ und „Mitverantwortung für das Gemeinwesen“ (S. 215) verdoppeln muss. Da lässt sich vermuten, dass das Interesse und die Freude wohl nicht groß sind und einer vernünftigen Einsicht irgendwas entgegensteht. Zum Beispiel in einer Gesellschaft wie dieser, in der das gesellschaftliche Miteinander als Gegeneinander durchgeführt wird, als Konkurrenz um den Reichtum der Gesellschaft. Und eben nicht als gemeinsames, planvolles Handeln zum Erhalt und zur Mehrung dieses gemeinsamen Reichtums, im Interesse aller, und zwar jede*s und jede*r Einzelnen.

Zumindest so viel lässt sich sagen: All diese schönen Werte passen verdammt gut zu einer Gesellschaft, in der es viele gute Gründe für Misstrauen gegenüber den „Kooperationspartnern“ (lies: Konkurrent*innen) gibt, weil diese eben vor allem das Interesse haben müssen, „aus Geld mehr Geld zu machen“ (S. 213).

Das sind dann auch Verhältnisse, in denen Menschen „Solidarität“, (S. 215) nötig haben. Wenn nämlich Verzicht und Beschränkung oder sogar Unterordnung der eigenen Interessen und Bedürfnisse unter die Nöte von anderen Not-wendig ist – dann heißt das nunmal, dass es für Leute scheiße läuft. Das ist häufig genug so – ein sinnvolles politisches Ziel ist Solidarität aber darum noch nicht. Das wäre eher die Abschaffung solcher Nöte.

Von einem anderen Kaliber sind all jene Werte, mit denen sich Menschen ihre Lohnarbeit schönreden. Es ist kein angenehmer Gedanke, dass mensch da sinnlosen, vielleicht sogar schädlichen Mist produziert und selbst nur ein Mittel zur Mehrung des Reichtums von anderen ist. Und dass darum die eigene Arbeitskraft, und somit auch die eigene Existenz, damit steht und fällt, ob die Kalkulationen des „eigenen“ Unternehmens aufgehen oder nicht. Ob also aus der Anwendung der Arbeitskraft etwas herauskommt, das sich – egal wie unnütz, schädlich oder überflüssig es ist – mit Gewinn verkaufen lässt.

Lohnarbeit frisst einen Gutteil des Lebens auf, die Erholung von ihr einen weiteren größeren Teil, die Vorbereitung auf sie ruiniert die Jugend, und das Gnadenbrot im Alter, wenn es denn gewährt wird, ist auch zumeist nicht der Auftakt zu einem Leben in Saus und Braus. Materiell springt im Kapitalismus also für die Arbeiter*innenklasse nicht allzu viel heraus. Viele Leute holen sich ihre Entschädigung im Ideellen. „Arm, aber ehrlich“ ist da ein schöner Trost in Form moralischer Überlegenheit. Der Stolz darauf, „schon seit X Jahren im Betrieb und nie krank gewesen“, „nie einen Grund zur Beschwerde geliefert“ weist fleißige und treue Lohnarbeiter*innen aus, die darum Anerkennung und Beschäftigung verdienen. Und wer sich mit „seinem“ Betrieb identifiziert und stolz auf die „eigenen“ Produkte ist, ist zwar nach wie vor nichts anderes als eine Arbeitskraft, die nach der privaten Gewinnkalkulation des Unternehmens angewendet wird. Aber er*sie hat sich ideell zur Miteigentümer*in ernannt. Mensch kann – das zeigt die alte Arbeiter*innenbewegung – trotzdem am Gegensatz zum Kapital festhalten. Aber mit dem Beharren darauf, in der Welt der Lohnarbeit ein kleines Stückchen Heimat gefunden zu haben, sind der Kritik an den Verhältnissen im Kapitalismus auf jeden Fall die Zügel angelegt. Das „alte Arbeitsethos der Industriearbeiter“ (S. 77) sorgt dafür, dass Leute ihren Frieden damit machen, sich den Buckel krumm zu schuften. Wer sie dafür lobt, will das nicht ändern, und genau so jemand ist Wagenknecht. Am System der Lohnarbeit hat sie überhaupt keine Kritik.

Sie will „Verantwortung des Stärkeren für die Schwächeren“ (S. 64), und d.h., dass es weiterhin Stärkere und Schwächere gibt. Sie lobt, dass es früher für die Arbeiter*innen „aufwärtsging“ (S. 65), und sofern diese Möglichkeit gegeben ist, hat sie auch nichts dagegen, dass es Verhältnisse gibt, aus denen Mensch sich besser mal „aufwärts“ bewegt.

Dass es auf- und abwärts geht, dass es nicht darum geht, was jemand braucht oder möchte, sondern um das, was ihm*ihr „zusteht“, das findet Wagenknecht alles völlig richtig. „Der Anspruch der Leistungsgerechtigkeit entspricht auch dem jahrhundertelange Gemeinschaftsleben entsprungenen Wertekanon der Gegenseitigkeit, nach dem Gerechtigkeit im Miteinander der Menschen bedeutet, dass das, was jemand bekommt, in einem vernünftigen Verhältnis zu dem stehen sollte, was er gibt. Nach dieser konservativen und dennoch keineswegs überholten Gerechtigkeitsvorstellung steht dem Fleißigen mehr zu als dem Faulen und dem Hochproduktiven mehr als dem, der nur Dienst nach Vorschrift macht“ (S. 296). Die von Wagenknecht hier vollbrachte Verwandlung des Abschneidens in der Konkurrenz in eine Frage charakterlicher Eignung für Ansprüche ist schon ein besonders gemeines Kaliber. Denn was sagt sie den Leuten, die keinen Erfolg haben? Der Witz einer Konkurrenz ist nun mal, dass es in ihr Gewinner*innen und Verlierer*innen gibt. Es ist die gute alte liberale Botschaft: „Es liegt an dir, was aus dir wird“. Dieses blöde liberale Märchen verwandelt Wagenknecht in eine moralische Forderung. Sie behauptet nicht, dass der Kapitalismus eine „Leistungsgesellschaft“ sei. Wohl aber, dass er mal eine war und dass er wieder eine werden könne.

Solange die Illusion intakt bleibt7, es hänge von der eigenen „Leistung“ ab, wie gut das eigene Leben ist, werden die Arbeiter*innen nicht erkennen, warum sie im System der Lohnarbeit auf keinen grünen Zweig kommen. Sondern mit Wagenknecht meinen: Es tauge „die Leistungsgesellschaft als normativer Maßstab für eine gerechte Gesellschaft weit besser als viele andere.“ (S. 298) Hauptsache gerecht! Egal wie scheiße das für die meisten ist.

Dass Gerechtigkeit ein Ideal des Mangels ist – wenn genug da ist, um alle Bedürfnisse zu befriedigen, ist es ja herzlich wurscht, ob die Verteilung nun „gerecht“ oder „ungerecht“ ist – stört die Doktorin der Volkswirtschaftslehre vermutlich überhaupt nicht. Denn es ist davon auszugehen, dass sie das übliche VWL-Gewäsch von der angeblichen natürlichen Knappheit für richtig hält, und gar nicht weiß, dass im Kapitalismus gesellschaftlich hergestellter Mangel herrscht.8

Zu diesem Mangel passt Bescheidenheit in den Ansprüchen sehr gut. Denn wenn es für die modernen Arbeiter*innen nun mal die Regel ist, dass am Ende des Geldes noch einiges an Monat übrig ist, dann lebt es sich mit Verzicht und Stolz auf den Verzicht doch viel einfacher. Wenn dann noch die „oberen Zehntausend“ sich eine „gewisse Zurückhaltung“ beim Protzen auferlegen (S. 63), ist für Wagenknecht die Welt eigentlich in Ordnung, sofern fleißige Leute ihre bescheidenen und gerechtfertigten Ansprüche realisieren können.

Ferdinand Lassalle, einer der Gründerväter der deutschen Sozialdemokratie, wetterte zu Recht gegen die „verdammte Bedürfnislosigkeit“ der Arbeiter*innen, die sie daran hindert, ihre Lage zu erkennen und zu verändern.9 Nichts läge Sahra Wagenknecht ferner.

Bleibe im Lande und nähre dich kläglich, das ist ihre Botschaft. Kein Wunder also, dass sie das Lob der Heimatliebe und der Bodenständigkeit singt. Dabei ist ihr durchaus bewusst, woher die Sorge vor dem Unbekannten und der Wunsch nach Vertrautem und Verlässlichem kommen: „Ich muss heute wissen, was morgen ist, ist die verständliche Leitlinie derer, die schnell und tief fallen können“ (S. 63), weiß sie. Es sei die Unsicherheit der proletarischen Existenz, die konservative Ansichten befördert. Anstatt die zu loben – wie wäre es denn eigentlich damit, dafür zu sorgen, dass niemand mehr „schnell und tief“ fallen kann? Aber das wäre das Ende der tollen Leistungsgesellschaft, die Wagenknecht so propagiert.

Für so eine Gesellschaft ist die „Anerkennung der wichtigen Rolle, die Traditionen und kulturelle Prägungen für menschliches Denken und Verhalten spielen“ (S. 219), tatsächlich sinnvoll. Denn Tradition, also die Verpflichtung zur Anpassung und Wiederholung, gibt den Leuten das gute Gefühl, mit dem Schlechten schon irgendwie klarzukommen (anstatt mal was dagegen zu tun). Und das ist auch ihre „Bedeutung für den Zusammenhalt von Gesellschaften“ (S. 219): die geistige Unterwerfung, damit die praktische ausgehalten werden kann.

Aber Sahra Wagenknecht ist ja keine Konservative, jedenfalls nicht nur. Darum verdolmetscht sie das für ihre linken Leser*innen so: „Das Gefühl von Zusammengehörigkeit und Gemeinsamkeit ist eine wichtige Voraussetzung für einen starken Sozialstaat. Wenn es kein Wir-Gefühl in einem Land mehr gibt, sind Menschen auch immer weniger bereit, über Steuern und Beiträge ein Solidarsystem zu finanzieren.“10 Mensch könnte es auch so sagen: „Sozial geht nur national“ (NPD).

 

Hoch die internationale Solidarität! Eine Welt Vaterland zu gewinnen!

Wagenknecht beruft sich in ihrem Buch permanent auf die „traditionelle Linke“, neunmal sogar ausdrücklich. Ein ganzes Kapitel widmet sie dabei der sozialistischen Arbeiter*innenbewegung. Allerdings ist diese Bewegung in ihrem Buch nichts weiter als eine nationale Bürgerrechtsbewegung für sozialen Aufstieg von hart arbeitenden Leuten, denen es nicht gut ging. Oder in den Worten Wagenknechts: „Links, das stand einmal für das Streben nach mehr Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit, es stand für Widerständigkeit, für das Aufbegehren gegen die oberen Zehntausend und das Engagement für all diejenigen, die in keiner wohlhabenden Familie aufgewachsen waren und sich mit harter, oft wenig inspirierender Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen mussten. Als links galt das Ziel, diese Menschen vor Armut, Demütigung und Ausbeutung zu schützen, ihnen Bildungschancen und Aufstiegsmöglichkeiten zu eröffnen, ihr Leben einfacher, geordneter und planbarer zu machen. Linke glaubten an politische Gestaltungsfähigkeit im Rahmen des demokratischen Nationalstaats und daran, dass dieser Staat Marktergebnisse korrigieren kann und muss“ (S. 23).

Kaum zu glauben, dass die alte sozialistische Arbeiter*innenbewegung tatsächlich mal die staaten- und klassenlose Vereinigung aller Menschen vor Augen gehabt haben soll. Oder dass sie nicht bloß Marktergebnisse korrigieren, sondern die Abhängigkeit von Konjunktur und Krise endgültig beseitigen wollte. Oder dass sie harte, oft wenig inspirierende Arbeit keineswegs für ein Naturgesetz hielt, sondern das Arbeitsleben selbst ändern und die Arbeitszeit drastisch reduzieren wollte.

Mensch möchte kaum glauben, dass es da mal eine weltweite Bewegung gegeben hat, der „Bildungschancen“ und „Aufstiegsmöglichkeiten“ gar nicht genug gewesen wären, und sich mit dem Gelaber von der „Leistungsgesellschaft“ nicht gemein machte. Sondern die auch in einem ihrer schlechteren Programme gefordert hatte, dass jede*r „nach seinen vernunftgemäßen Bedürfnissen“11 einen Anteil am Arbeitsprodukt bekommen soll.

Wer Wagenknecht liest, wird gar nicht auf den Gedanken kommen, dass die alte Arbeiter*innenbewegung sich in 3-5 Internationalen – je nachdem, wen mensch alles dazuzählt – organisiert hatte. Denn „Proletarier aller Länder vereinigt euch!“, „Hoch die internationale Solidarität“ und so andere Gassenhauer des „proletarischen Internationalismus“ finden sich in ihrem Buch nicht. Und das ist schon etwas verwunderlich. Darum haben wir uns ein paar alte Bekannte eingeladen, um mit ihnen in einem kleinen Gespräch besser zu verstehen, wie Wagenknecht darauf kommt. Bekanntlich schreibt ja niemand ein Buch allein (frei nach Annalena Baerbock), alle Zitate sind original, sogar die von uns.

ALiF 112: Ja, hallo zusammen, legen wir gleich los mit unserem ersten Gast. Wie würden Sie das Verhältnis zwischen Arbeiter*innenklasse und Nation sehen?

Karl Marx: Die Proletarier haben kein Vaterland. Man kann ihnen nicht nehmen, was sie nicht haben.13

ALiF 1: Hm, soll das jetzt heißen, dass die Proletarier*innen kein Vaterland haben, als Feststellung? Oder geht es darum, dass sie mit den ganzen Vaterländern Schluss machen sollten, und kein Vaterland haben sollten?

Karl Marx: (schweigt)

ALiF 1: Okay, was sagen Sie denn zum Nationalismus?

Karl Marx: Wenn die nationale Borniertheit überall widerlich ist, so wird sie namentlich in Deutschland ekelhaft.14

ALiF 1: Das ist keine wirkliche Antwort auf die Frage. Nationalismus ist mehr als nationale Borniertheit, sondern ein positiver Bezug auf die Nation. Was meinen Sie denn zum Beispiel mit dem Satz im Kapital, im Vorwort: „eine Nation soll und kann von der anderen lernen“?15

Karl Marx: (schweigt)

Friedrich Engels: Die Proletarier sind der großen Masse nach schon von Natur ohne Nationalvorurteile, und ihre ganze Bildung und Bewegung ist wesentlich humanitaristisch, antinational. Die Proletarier allein können die Nationalität vernichten, das erwachende Proletariat allein kann die verschiedenen Nationen fraternisieren.16

ALiF 1: Herr Engels, das mag ja im 19. Jahrhundert gestimmt haben, aber für das 20. und 21. Jahrhundert stimmt das nicht. Und wenn sie nur die Nationalität vernichten wollen, was immer das genau ist, aber nicht die Organisation der kapitalistischen Klassengesellschaft als Nation aufheben wollen, scheint mir wenig gewonnen zu sein.

Friedrich Engels: (schweigt)

Karl Marx: (schweigt)

ALiF 1: Na, hier kommen wir wohl nicht so richtig weiter. So eine richtig klare Absage an Nation und Nationalismus haben die beiden nicht formuliert. Andererseits ist auch klar: Wer das Gegeneinander von nationalen Gemeinschaften und Arbeiter*innenklassen propagiert wie Wagenknecht, kann sich nicht auf Marx und Engels berufen. Vielleicht kann unser nächster Gast da mehr Licht ins Dunkel bringen.

Rosa Luxemburg: In der Klassengesellschaft gibt es die Nation als homogenes gesellschaftliches Ganzes nicht, dagegen bestehen in jeder Nation Klassen mit antagonistischen Interessen und ‚Rechten‘. Es gibt buchstäblich nicht einen Bereich, in dem die besitzenden Klassen und das bewußte Proletariat als ein ununterscheidbares Volksganzes aufträten.17

ALiF 1: Das ist ja erst mal eine klare Absage an alle Gemeinschaftsduselei. Aber unterschätzen Sie nicht ein bisschen die praktische Konsequenz der gewaltsamen Zusammenfassung einer Gesellschaft als Nation? Mir scheint, Sie beharren wie Engels darauf, wie das Proletariat ihres Erachtens sein sollte, und verlieren so aus den Augen, wie die Arbeiter*innenklasse wirklich tickt, sobald das allerschlimmste Elend nicht mehr die Normalform der proletarischen Existenz ist. Sie betonen zurecht den Gegensatz zwischen Arbeiter*innenklasse und Kapital, aber wo bleibt die schädliche Abhängigkeit der Arbeiter*innen vom Kapital, vom nationalen Erfolg – mit all ihren Verlängerungen, dem ‚eigenen‘ Unternehmen und dem ‚eigenen‘ Staat dann auch Erfolg zu wünschen?

Rosa Luxemburg: (schweigt)

ALiF 1: Ist ja heute ein bisschen zäh hier. Zum Glück haben wir noch einen Experten hier. Herr Lenin, Sie und Rosa Luxemburg haben sich kräftig über Nationalismus gestritten vor dem Ersten Weltkrieg. Worum ging es da?

W. I. Lenin: Jeder bürgerliche Nationalismus einer unterdrückten Nation hat einen allgemein demokratischen Inhalt, der sich gegen die Unterdrückung richtet und diesen Inhalt unterstützen wir unbedingt.18

Rosa Luxemburg: Indem sie nach Beseitigung aller Formen der Unterdrückung und Beherrschung des Menschen durch den Menschen strebt, muss die Arbeiterklasse ebenfalls die Beseitigung der nationalen Unterdrückung anstreben19.

ALiF 1: Also sie haben beide was gegen Diskriminierung und Unterdrückung von Leuten, das ist ja in Ordnung. Aber daraus ergibt sich doch keine Parteinahme für irgendwelche nationalistischen Bewegungen, die, sobald sie an der Macht sind, die Menschen genauso ein- und aussortieren, oder? Und schon gar nicht für Nationalismus per se?

W. I. Lenin: Kann es aber für eine Nationalität als solche eine größere Freiheit geben als die Freiheit der Bildung eines selbständigen Nationalstaates?20

Rosa Luxemburg: Unter kapitalistischen Verhältnissen ist das Selbstbestimmungsrecht der Nation eine plumpe Mystifikation, die gerade gut genug ist, um die proletarischen Massen aller Nationen irre zu führen.21 Oft genug ist der Nationalismus ein Ausdruck der aufstrebenden eingeborenen Bourgeoisie, die nach selbständiger Ausbeutung des Landes für eigene Rechnung strebt.22

ALiF 1: Das ist ja alles ganz interessant, aber letztlich diskutieren sie doch nur, ob und wenn ja wie sie nationalistische Bewegungen, die nicht sozialistisch sind, instrumentalisieren können. Sie, Herr Lenin, meinen, das geht, Sie, Genossin Luxemburg, glauben das eher nicht. Aber um die begriffliche Klärung, was eine Nation ist, warum der Kapitalismus sie braucht, wie Menschen darauf kommen, sich überhaupt als Nation zu identifizieren und zu fühlen, und was das mit den Menschen macht, wenn sie das tun, drücken sie sich ein bisschen, oder?

Rosa Luxemburg: (schweigt)

W. I. Lenin: (schweigt)

ALiF 1: Aber ich sehe wir haben eine Meldung aus dem Publikum. Bitte.

J. W. Stalin: Eine Nation ist eine historisch entstandene stabile Gemeinschaft von Menschen, entstanden auf der Grundlage der Gemeinschaft der Sprache, des Territoriums, des Wirtschaftslebens und der sich in der Gemeinschaft der Kultur offenbarenden psychischen Wesensart.23

ALiF 1: Auha, zumindest der letzte Punkt klingt ja ähnlich wie Wagenknecht: „Dass es eine nationale Typik im Verhalten, im Umgang miteinander und in der Reaktion auf Ereignisse gibt, […] Nationalcharaktere [...], [lässt] sich weder leugnen [...] noch [ist es] verwunderlich.“ „Nationen entstehen durch eine gemeinsame Kultur und Sprache, durch geteilte Werte, gemeinsame Traditionen, Mythen und Erzählungen, aber auch durch eine gemeinsame politische Geschichte, die in manchen Fällen sogar das Fehlen älterer kultureller Gemeinsamkeiten ersetzen kann.“ (beides S. 238/239).

J. W. Stalin: (grinst)

ALiF 1: Aber dieses ganze angeblich Gemeinsame ist doch eine Konstruktion. Nur wenn ich mich mit einer Nation identifiziere, wird ihre Geschichte „meine“, und auch dadurch erst zu einer gemeinsamen für alle Leute, die das so machen. Und die Betrachtung von Kultur und Sprache ist hier doch sehr äußerlich. Es gibt ja nicht nur Übersetzungen, sondern mensch kann in der gleichen Sprache ganz entgegengesetzte Positionen vertreten. Außerdem ist eine einheitliche Sprache doch meist auch erst das Produkt der Nation, also bspw. durch die Einführung eines staatlichen Schulwesens. Und dass alle Menschen in einer Gesellschaft die gleiche Kultur hätten, ist doch sowieso Quark. Jede Klassengesellschaft ist von vornherein multikulturell. Also diese Verpflanzung des Nationalismus in das Menscheninnere ist zwar der Wunschtraum von Nationalist*innen, aber so total ist Sozialisation nun gewisslich nicht. Da kommen wir irgendwie nicht weiter. Herr Lenin, wie stehen Sie denn zu der Forderung von Wagenknecht, es solle eine „Leitkultur“ gefördert werden, also die „durch kulturelle Überlieferung, Geschichte und nationale Erzählungen begründeten spezifischen Werte und typischen Verhaltensmuster innerhalb einer Nation“ (S. 240)?

W. I. Lenin: Das Proletariat will eine internationale Kultur, die jeder nationalen Kultur ausschließlich ihre konsequent demokratischen und sozialistischen Elemente entnimmt.24

ALiF 1: Na, was das Proletariat alles so will... Und wie würden Sie Leute nennen, die meinen: „Die Prägung des Menschen durch seine Geschichte und nationale Kultur ist daher auch kein Gefängnis, aus dem man ihn befreien muss“ (S. 223/224)?

W. I. Lenin: Reaktionäre Spießer.25

ALiF 226: Mensch, das dauert jetzt schon ganz schön lange. Ist ja offensichtlich, dass die sozialistische Arbeiter*innenbewegung keine wirklich grundlegende Kritik von Nation und Nationalismus geleistet hat. Aber so borniert nationalistisch wie Wagenknecht argumentiert, war sie dann auch nicht.

ALiF 1: (seufzt)

ALIF 2 LEGT ALIF 1 TRÖSTEND DIE HAND AUF DIE SCHULTER. DAS LICHT GEHT AUS. VON FERNE ERKLINGT EINE PUNKVERSION DER „INTERNATIONALE“. BEIDE GEHEN AB.

 

Wagenknecht ist eine Nationalistin, durch und durch. Sie nimmt die schlechtesten Traditionen der sozialistischen Arbeiter*innenbewegung auf (z.B. das Programm zur nationalen Wiedervereinigung Deutschlands der KPD von 1952) und radikalisiert sie. Wo selbst die Stalinist*innen noch zwischen angeblich „fortschrittlichem“ Patriotismus und „reaktionären“ Nationalismus unterschieden, stellt Wagenknecht jeder Form vaterländischer Gesinnung nicht nur einen Persilschein aus. Nein, sie adelt den Wunsch, nur mit echten VolksgenossInnen zusammen zu leben und von solchen auch regiert zu werden, als nicht nur selbstverständlich und allgemein-menschlich, sondern auch als vernünftig. Wenn von der „deutschen Wirtschaft“ die Rede ist, sagt sie selbstverständlich: „wir“ (S. 14). Wenn sie schreibt: „Die meisten Menschen lieben ihre Heimat und identifizieren sich mit ihrem Land, und sie wollen dafür nicht angefeindet oder moralisch herabgewürdigt werden“ (S. 197), kommt ihr kein Gedanke, ob die Heimatliebe oder die Identifikation mit dem Land vielleicht Fehler sein könnten, schädlich für den Zweck, eine Welt aufzubauen, die für alle Menschen ein Ort ist, wo „man sich wohl- und sicher fühlt“ (S. 83).

Denn die anderen Leute gehen sie nichts an: „Jede Gemeinschaft – auch jede moderne Solidargemeinschaft – beruht darauf, zwischen denen, die dazugehören, und jenen, für die das nicht gilt, zu unterscheiden. Denn Gemeinschaften sind Schutzräume, die ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen, wenn sie für jeden geöffnet werden“ (S. 218). Dieses Kompliment an die nationalstaatliche Zusammenfassung von Leuten hat es in sich: Dass kapitalistische Nationalstaaten „Schutzräume“ für ihr Menschenmaterial seien, ist schon eine sehr eigenartige Betrachtung, zumindest für Leute, die mit Kapitalismus nicht einverstanden sind. Wovor der kapitalistische Nationalstaat die Leute eigentlich schützt und schützen muss, und woher das kommt, taucht in dieser schönen Betrachtung nicht auf.27 Lieber sorgt Wagenknecht sich um den „sich auflösenden Zusammenhalt“ (S. 15) in ihrem Nationalstaat und wünscht sich eine Politik, die nationale „Gemeinsamkeiten“ fördert (S. 238).

 

Eine falsche Kapitalismuskritik kommt zu ihrem unrühmlichen Ende: „Ungerecht“ und „verfault“

Aber, aber: Die Epoche, in der es „tatsächlich für nahezu alle, und insbesondere für die Arbeiterschaft, aufwärtsging“ „endete in den achtziger Jahren“ (S. 65). Die „beste Zeit“ des Kapitalismus waren die „fünfziger bis siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts“ (S. 282), seitdem ging es steil bergab.

Darum ist Wagenknecht mit dem modernen Kapitalismus nicht so recht zufrieden. Er leistet gar nicht das, was er ihrer Ansicht nach müsste. Die unteren Klassen kämen trotz ihrer hohen Moral und Arbeitsbereitschaft gar nicht auf ihre Kosten, hingegen würden recht zwielichtige Typen sich ein gutes Leben machen können und allerhand Probleme schaffen, die gar keiner löse. Ungerecht sei er und das!

Wenn er dabei wenigstens effektiv wäre. Aber nein: Er hat „seine innovative Dynamik verloren“ und trägt zur „Lösung der wirklich großen Probleme kaum etwas“ bei (S. 273). Nicht mehr „Produktivitätsfortschritte“ (S. 68) stehen im Fokus, alles ist von „kostensparende[m] Auslagerungswahn“ (S. 70) bestimmt. „Handelsmonopol, stagnierende Wirtschaft und Finanzspekulation“ bestimmen heute wieder das Bild (S. 277) und „unproduktive und gesellschaftlich schädliche Geschäftsmodelle [...], mit denen man trotzdem sehr viel Geld verdienen kann“ (S. 278). Dieses Geld fließt in den Finanzsektor, „aber dass ein zu großer Finanzsektor dem realwirtschaftlichen Wachstum schadet, ist seit Längerem bekannt“ (S. 278). Denn die „zunehmende Macht von Finanzinvestoren“ zwingt „auch grundsoliden Firmen der Realwirtschaft ihre Logik und ihre Prioritäten“ auf (S. 281). Das findet sie nicht gut, weil die „keinen Bezug zum Unternehmen, zu seinen Produkten und seinen Beschäftigten“ haben, und in „Reinform“ „verkörpern“, „was kapitalistisches Wirtschaften bedeutet: Geld investieren, um mehr Geld herauszuholen“ (S. 282). So führen „Kurzsichtigkeit, Maßlosigkeit, Vorliebe für Bluff, Tricks und Bilanzkosmetik sowie eine rücksichtslose Orientierung allein an den Interessen der Aktionäre und des Managements“ zu einer „innovationsfaulen Ökonomie, in der Marktmacht und sogar Monopole an die Stelle offener Märkte getreten sind und echter, fairer Wettbewerb eine immer geringere Rolle spielt“ (S. 283). Also kurzerhand: Eine unproduktive, unmoralische und ungerechte Ordnung, die den Millionen das Leben schwer macht, den Millionären aber viel Geld einträgt.

Was für ein schönes Wiedersehen mit lauter alten Bekannten: Jaja, der Monopolkapitalismus ist, weil es in ihm keinen Wettbewerb und keine Märkte mehr gibt, gar nicht mehr richtig produktiv, löst keins von den Problemen, die er schafft, macht den Leuten das Leben schwer und ist, wenn er nicht eine Vorstufe zum Sozialismus ist, eine Sackgasse, in der es sich nur überflüssige Schmarotzer gemütlich machen. So stand es früher in den DDR-Lehrbüchern. Das war eine Kritik, die sich ganz schön radikal vorkam – es aber gar nicht war. Sondern den Kapitalismus mit lauter Idealen behelligte, die er gar nicht hatte. Als ob es im Kapitalismus jemals um Produktivität an sich gegangen wäre und als ob das überhaupt was Gutes wäre! (Mensch könnte ja abwägen, ob, statt ganz viel Zeit und Arbeit in Erhöhung der Produktivität zu stecken, eine schöne Party zu feiern nicht auch ein guter Zeitvertreib wäre.) Als ob die „Realwirtschaft“ jemals nicht versucht hätte, aus Geld mehr Geld zu machen, und dabei über Leichen gegangen wäre.

Nicht weil sie dem Kapitalismus früherer Zeiten Komplimente macht, ist Wagenknecht zu kritisieren – das wäre ja fast ein bisschen egal –, sondern weil diese Komplimente verraten, was für ein Ideal von Kapitalismus sie hat und wo sie hin will.

Wagenknecht weiß: „Kapitalistisches Wirtschaften war noch nie per se innovativ. Sein eigentlicher Antrieb ist, aus Geld mehr Geld zu machen. Dieses Motiv kann Anreize für Innovation, höhere Produktivität und technologischen Wandel setzen, muss es aber nicht. Genau besehen fördert der Profittrieb den technologischen Fortschritt und den allgemeinen Wohlstand nur unter ziemlich engen Bedingungen. Entscheidend ist, dass es für Firmen möglichst keinen anderen Weg der Kostensenkung gibt als den Einsatz neuer Technologien und dass ihr einziges Mittel, höhere Preise durchzusetzen, darin besteht, bessere, innovative Produkte auf den Markt zu bringen. Nur wenn beides zutrifft, wird der Kapitalismus ideenreich. Eine unerlässliche Voraussetzung dafür ist funktionierender Wettbewerb“ (S. 273).

Darum glaubt sie: „Der Kapitalismus funktioniert also am besten in wettbewerbsintensiven Industrien, in denen Gesetze und starke Gewerkschaften für steigende Löhne und hohe Sozial- und Umweltstandards sorgen“ (S. 274).

Zu der ganzen Ideologie, kapitalistische Produktion sei enorm effektiv und sparsam haben GKN in ihrem Buch alles nötige geschrieben.28 Es stimmt einfach nicht, und der Zweck der kapitalistischen Produktion macht sich die ganze Zeit über negativ geltend, selbst wo Reichtum produziert, und nicht — weil z.B. unverkäuflich — vernichtet wird.

Was dies aber wieder einmal zeigt: Eine Kritik, die dem Kapitalismus dauernd bescheinigt, nicht, nicht mehr oder nicht mehr richtig zu funktionieren, anstatt sein Funktionieren als Grund für Armut und Ausbeutung zu benennen und zu kritisieren, hat nichts zu bieten als lauter schädliche Illusionen: was die eigentliche Aufgabe „der Wirtschaft“ und „des Staates“ wäre, wie gut es früher gelaufen ist, und wie toll funktionierende Märkte alle versorgen würden, wenn die bösen Monopole und gekauften Politiker*innen sie nur ließen. Schädlich dafür, um zu verstehen, woran es wirklich liegt. Schädlich aber auch dafür, für eine vernünftige Planwirtschaft (also ohne Marktsimulation, wie im Staatssozialismus) zu werben.

 

Antikapitalistisch? Links? – von wegen!

Aber das liegt Wagenknecht denkbar fern. Inwieweit ihre Idealisierung der DDR-Wirtschaftspolitik unter Ulbricht, die sie bekannt gemacht hat, jemals mehr war als ein enttäuschter DDR-Patriotismus – das muss niemanden mehr interessieren. Heute beruft sie sich auf die Väter der sozialen Marktwirtschaft. Und wenn sie sich für eine Politik einsetzt, „die den Kapitalismus mindestens bändigen, perspektivisch vielleicht sogar überwinden kann“ (S.219), dann ist dazu folgendes zu sagen:

  1. Darf mensch das „vielleicht“ sehr, sehr ernst nehmen. Denn bei all den schönen Bändigungsvorschlägen in dem Buch bleibt eigentlich unklar, wozu mensch den Kapitalismus noch abschaffen sollte. „Perspektivisch“ will ja bekanntlich auch die Sozialdemokratische Partei Deutschlands immer noch – laut Parteiprogramm – den „demokratischen Sozialismus“ einführen.29

  2. Ist die entsprechende Stelle so offensichtlich ein Versuch, Leuten, die etwas – irgendetwas – gegen Kapitalismus haben, den Nationalstaat als notwendigen Bestandteil eines jeden Gegenmittels zu verkaufen.

  3. Ist bei all dem, was Wagenknecht an falscher, moralischer und nationalistischer Kritik vorzubringen hat, sehr unwahrscheinlich, dass sie mit Kapitalismus mehr meint, als eine rein gewinnorientierte Geisteshaltung. Wagenknecht hat in Wirklichkeit gar keine Kritik am Kapitalismus, sondern will eine „soziale Marktwirtschaft“. In dieser sollen „echte Unternehmer“ statt „Kapitalisten“ (S. 293) ihr „Leistungseigentum“ (S. 295) zusammen mit „Kontrollorganen“, die die „Interessen der gesamten Belegschaft“ (S. 294) vertreten, so nutzen, dass sich die „Wohlstandspotenziale der Wirtschaft erhöhen“ (S. 292).

So wenig Wagenknecht wirklich diese Gesellschaft kritisieren und grundlegend verändern will, so sehr sehnt sie sich offensichtlich doch nach Anerkennung von allen anständigen Deutschen. Linke, „egal ob Sozialdemokraten, Sozialisten oder auch [...]Kommunisten“ (S. 24), sollen „von einem aufgeklärten Konservatismus lernen“ (S. 17), damit daraus noch mal eine „liberale, tolerante Linke“ (S. 12) wird. Was für ein bunter Blumenstrauß.

Glücklicherweise ist die Mehrheit da schon längst angelangt, was für Wagenknecht ja heißt, dass das auch richtig ist: „All diese Einstellungen, die nach Umfragen von Mehrheiten geteilt werden, kann man als aufgeklärt konservativ bezeichnen. Sie sind mit einer grundsätzlich liberalen Grundeinstellung problemlos vereinbar. In einem tieferen Sinne sind sie sogar links“ (S.197/198), teilweise sogar „nicht nur konservativ, sondern auch originär links“ (S. 225). „Wertkonservativ“ und links zu sein, sei kein Widerspruch. „Zugespitzt könnte man ein solches Programm als linkskonservativ bezeichnen“ (S. 226). Wir spitzen zu: Alle originär sozialdemokratisch-sozialistisch-kommunistisch-liberalen Links-Wertkonservativen sollten sich wirklich mal zusammenfinden. Das wird bestimmt Spitze.

Das alles ist ein altes Lied: Linke wollen häufig die Gesellschaft verändern. Im Regelfall stößt das auf Widerstand, Ausgrenzung, Hass, manchmal auch Verfolgung. Das finden viele Linke mal echt nicht fair, weil sie davon überzeugt sind, dass ihr Veränderungswille eigentlich auch im Interesse der Gesellschaft, ja letztlich auch ihrer Gegner*innen ist. Dafür sehnen sie sich nach Anerkennung. Eine solche Sehnsuchtsfigur ist der „aufgeklärte Konservative“, ein guter Freund des „anständigen Liberalen“ und des „aufrechten Sozialdemokraten“. Diese heiligen drei Könige von linken Möchtegern-Radikalen und anderen Lampenputzer*innen30 spuken außer in den Köpfen zukünftiger Konservativer, Liberaler und Sozialdemokrat*innen auch in Wagenknechts Buch herum.

Und das tun sie mit gutem schlechtem Grund. Zu der Frage, ob Wagenknecht zu ihrer Partei „Die Linke“ passt, haben wir nichts beizutragen: Der Hinweis der Parteispitze, Wagenknecht Ansichten bewegten sich im Meinungsspektrum der Linken („innerparteiliche Differenzen“31), dürfte wohl zutreffend sein und sagt einem auch allerhand über diese Partei.

Ob Wagenknecht in irgendeiner Weise „links“ ist, ist eigentlich eine müßige Frage. Der Begriff kommt nicht umsonst aus dem Parlament, und erlaubt die Zusammenfassung von lauter gegensätzlichen politischen Positionen, die irgendwie gemeinsam an einem Strang ziehen und sich darum solidarisch miteinander verhalten sollen.32 Sich selbst hält Wagenknecht sicherlich nach wie vor für eine Linke. „Sowenig man das, was ein Individuum ist, nach dem beurteilt, was es sich selbst dünkt“33, so sehr würden wir vorschlagen, der Selbstauskunft von Wagenknecht in ihrem Buch Glauben zu schenken: Links-konservativ.

Wer also geglaubt hat, dieses Buch oder Wagenknechts Agitation seien in irgendeiner Weise ein sinnvoller Beitrag für eine auch nur im weitesten Sinne des Wortes „linke“ Gesellschaftsveränderung, sollte spätestens jetzt einsehen: Dieses Buch ist ein sozialkonservatives Machwerk einer ehemaligen Linken. Der Ausgangspunkt war sicherlich mal strategisch. Endpunkt ist ein national-sozial-liberal-links-konservativer Moralismus, oder einfacher: Nationalismus, mit ganz vielen, und darum eher willkürlichen und nicht besonders bedeutungsvollen Adjektiven.

Wir haben in diesem 2. Teil der Rezension sehr stark betont, wo und wie Wagenknecht in einer linken Tradition steht, und wo sie von ihr abweicht mit ihr bricht. Noch deutlicher zeigt sich der Bruch bei den Themen Migration, Identitätspolitik und Rechtsradikalismus. Dazu mehr im 3. Teil am 23.04.2022 auf dieser Homepage.

 

1 Und zwar übrigens zumeist nicht aus Nächstenliebe oder emanzipatorischer Begeisterung, sondern häufig nur als Nebenprodukt von ganz anderen Interessen, die diese Forderung für sich instrumentalisieren konnten.

2 Übrigens durchaus ein logischer Widerspruch zu anderen Stellen des Buchs, wo Wagenknecht die Verzichtsbereitschaft und Bescheidenheit der einfachen Leute in den höchsten Tönen lobt. Warum die sich dann weitere Verschlechterungen nicht gefallen lassen sollten, ist gar nicht nachvollziehbar.

3 In den Formulierungen Wagenknechts verrät sich dann allerdings auch die Politikerin, die zwar „nah bei die Leut‘“ sein will, aber schon versteht, dass diese Objekte ihrer Politik sind. So wenig sie die Leute agitieren will, so gerne möchte sie sie instrumentalisieren – natürlich nur zu deren eigenem Besten. Deswegen ruft sie sie auch nicht dazu auf, sich selbst zu organisieren — auch ihre tolle Bewegung „aufstehen“ war das nicht wirklich — , sondern will sie „vertreten“ und ihre „Stimme“ sein.

4 Selbst Gutverdiener*innen wie die Pilot*innen durften dies in der Corona-Krise erfahren.

5 S. dazu MaoTse-Tung [Zedong]: Worte des Vorsitzenden Mao Tse-Tung. [„Mao-Bibel“/kleines rotes Buch], Abschnitt IV: Die richtige Behandlung der Widersprüche im Volk. Peking 1967, S. 55-69.

6Mehrfachnennungen wurden gekürzt.

7Vgl. dazu den Abschnitt „'Wer will, der kann' oder Die eigene Leistung – ein Grund für nichts“ im Buch von GKN „Die Misere hat System“, S. 93ff, kostenloser Download hier: https://gegen-kapital-und-nation.org/page/die-misere-hat-system-kapitalismus/

8Wer mehr wissen will, lese den Abschnitt „Nimmersatt in Kummerland: 'Der Mensch','der Mangel' und die Märkte“ im Buch von GKN „Die Misere hat System“, S. 1 ff, kostenloser Download hier: https://gegen-kapital-und-nation.org/page/die-misere-hat-system-kapitalismus/

9Lassalle, Ferdinand: Arbeiterlesebuch. Rede am 17. und 19. Mai 1863. In: Ausgewählte Reden und Schriften, Berlin 1991, S. 277.

12Antinationale Linke in Frankfurt = ALiF.

13 Marx/Engels: Manifest der kommunistischen Partei, MEW 4, S. 479.

14 Marx/Engels: Die deutsche Ideologie. MEW 3, S. 458.

15Marx, Karl: Das Kapital, Bd. 1. MEW 23, S. 15.

16 Engels, Friedrich: Das Fest der Nationen in London.(Ende 1845). MEW Bd. 2, S.614

17 Luxemburg, Rosa: Nationalitätenfrage und Autonomie. Berlin 2018, S. 69/70.

18Lenin, Wladimir Iljitsch: Über das Selbstbestimmungsrecht der Nationen (1914). In: Lenin, W.I.: Ausgewählte Werke in sechs Bänden. Frankfurt 1970 Bd. II., S. 414.

19Luxemburg, Rosa: Was wollen wir? Kommentar zum Programm der Sozialdemokratie des Königreich Polens und Litauen (1906). Rosa Luxemburg Gesammelte Werke. Berlin (DDR): Dietz 1972 Bd. 2, S. 52.

20Lenin, Waldimir Iljitsch: Über das Selbstbestimmungsrecht der Nationen (1914). In: Lenin, W.I.: Ausgewählte Werke in sechs Bänden. Frankfurt: VMB 1970 Bd. II, S. 425.

21Luxemburg, Rosa: Brennende Zeitfragen (1917). Rosa Luxemburg Gesammelte Werke. Berlin (DDR): Dietz 1972 Bd. 4, S. 286.

22Luxemburg, Rosa: Fragment über Krieg, nationale Frage und Revolution (1918). Rosa Luxemburg. Gesammelte Werke. Berlin (DDR): Dietz 1972 Bd. 4, S. 369.

23Stalin, Josip Wissarionowitsch: Marxismus und nationale Frage. In: Werke, Bd. 2. Stuttgart 1951, S. 272.

24 Lenin, Wladimir Iljitsch: Thesen zur nationalen Frage (1913). In: Lenin, W.I.: Werke. Berlin (DDR) 1971 Bd. 19, S.237.

25Lenin: Kritische Bemerkungen. LAW Bd. II, S. 367.

26Immer noch die Antinationale Linke in Frankfurt.

27Vgl. dazu das Kapitel „'Na, dir werd ich helfen': Sozialstaat“ im Buch von GKN Die Misere hat System, S. 203ff, https://gegen-kapital-und-nation.org/page/die-misere-hat-system-kapitalismus/

28Vgl. dazu den Abschnitt „Kein Handschlag zu viel, kein Krumen vergeudet?“ im Buch von GKN „Die Misere hat System“, S. 85ff., kostenloser Download hier: https://gegen-kapital-und-nation.org/page/die-misere-hat-system-kapitalismus/

29 „Der demokratische Sozialismus bleibt für uns die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft, deren Verwirklichung für uns eine dauernde Aufgabe ist.“ Hamburger Programm der SPD von 2007, https://www.spd.de/partei/grundsatzprogramm.

32 Darum ist es auch kein Wunder, dass vor allem Sozialdemokrat*innen jeglicher Parteizugehörigkeit diesen Ausdruck lieben. Indem sie alle möglichen Leute „links“ von sich zu einer „Linken“ eingemeinden, fordern sie im Regelfall von Sozialist*innen, Kommunist*innen, Anarchist*innen, sich mal ganz solidarisch dem sozialdemokratischen Parteiprogramm unterzuordnen – schließlich sind „wir“ doch alles Linke. Und wehe, jemand macht das nicht – der*die ist dann nämlich nur ein Handlanger der „Rechten“. Die schönen Adjektive „fortschrittlich“ bzw. „progressiv“ haben die gleiche Funktion.

33 Marx, Karl: Zur Kritik der politischen Ökonomie. [Vorwort]. MEW, Bd. 13, S. 9.