31.12.1997 PDF

Stoffkundebroschüre - A: Vorschläge für die drogenpolitische Praxis



Aktionsvorschläge aufzulisten geht immer mit dem unangenehmen Beigeschmack einher, im doppelten Sinne didaktisch zu sein: Schlaue Leute sagen weniger schlauen Leuten, wie sie noch weniger schlauen Leuten schlaue Sachen möglichst schlau vermitteln können. Ein "Handbuch für den linken Drogenpolitiker" vermittelt zudem den Eindruck, dass es die unmittelbare Einheit von Theorie und Praxis gäbe, die darin bestünde, das Gelernte richtig anzuwenden. Von den vielen Tücken, die diese falsche Auffassung birgt, ist die nicht geringste die, dass die PraktikerIn bei einer missglückten, da nicht auf Anklang gestoßenen Aktion die Schuld bei der nicht vermittelbaren und ergo zu verwerfenden Theorie oder aber bei ihrem subjektiven Unvermögen sucht - und nicht in Verhältnissen, die ihre dringend notwendige Abschaffung zugleich so hoffnungslos machen. Und doch mag bei manch eineR der Drang entstehen, das als wahr Erkannte an die Wirklichkeit zu tragen, und von den vielen Rückschlägen, die lauern werden, können wir mit diesem Papier zumindest dazu beitragen, einen eventuell aller ersten zu verhindern: den nämlich, diesem Drang mangels Ideen gar nicht erst zu folgen. Nicht, dass die folgenden Vorschläge allesamt originell wären (nur größtenteils erprobt), ebenso wenig wie sie vor der in jeder Praxis lauernden Sozialdemokratisierung gefeit wären.


I. ZULABERN
Einfach zu organisieren (insbesondere als SchülerInnenvertretung, Unigruppe oder ähnlicher Zusammenhang) und bei vernünftiger Werbung meist relativ erfolgreich sind Abendveranstaltungen, sofern der Themenbereich nicht zu ausufernd wird (sonst kommt es nur, insbesondere von AnhängerInnen repressiver Drogenpolitik, zu weltanschaulichen Bekundungen übers richtige Leben). Mögliche Themen: Heroinlegalisierung, "War on drugs" in Lateinamerika, Drogenpolitik und autoritäre Transformation der Demokratie, Drogen und Rassismus, Junkieselbstorganisierung, Suchtpräventionskritik, XTC und die Hetze gegen synthetische Drogen oder Dealerhatz.
Etwas aufwendiger in der Vorbereitung sind Podiumsdiskussionen; allerdings auch ein recht geschickter Transmissionsriemen für die Kritik der repressiven Drogenpolitik, die in der Praxis stets die Argumente für, und nur die Ressentiments gegen sich hat. Einladen kann man - wenn das Podium, etwa bei einer Schulveranstaltung, plural gehalten werden muss - besonders gut JU-Mitglieder, Polizeibüttel oder (schon herausfordernder) Suchtpräventionsbeauftragte, um sie öffentlich vorzuführen. Wer dagegen die eigene Kritik detaillierter herausarbeiten will und andererseits mit einem bereits sensibilisierten Publikum (in alternativen oder sich alternativ dünkenden Stadtvierteln, Jugendzentren etc.) rechnen kann, kann etwa zu Perspektiven repressiver Drogenpolitik diskutieren und sich staatstragend windende Grüne, schlaue Mitglieder der JES (Junkies, Ex-User, Substituierte) und akzeptierende DrogenarbeiterInnen einladen. Die beiden letzteren sind - wegen allgemein zuerkannter Fach- bzw. Betroffenenkompetenz - natürlich auch für die erste Variante sinnvoll. Sicherheit in der Materie vorausgesetzt, sind Teach-Ins auf Projektwochen, SV-Treffen, linken Kongressen oder Uni-Veranstaltungen natürlich dankbare Gelegenheiten. Wer zudem noch die organisatorischen Möglichkeiten hat, kann sich auch an ein Wochenendseminar machen. Und wer schlussendlich die subkulturellen Connecten aufweisen kann, sollte unverzüglich Legalisierungskonzerte und -raves in Angriff nehmen, um dieses Medium nicht nur den Krankenkassen und der Antidrogen- Technofraktion zu überlassen.
Für alle diese Anlässe gilt: Der Bundesarbeitskreis Drogen bemüht sich, ReferentInnen aus der Umgebung und/oder zu speziellen Themen zu vermitteln und kommt auch selber gerne.


II. ZUTEXTEN
Glaubt man noch ein wenig an die aufklärerische Kraft des geschriebenen Wortes (und weiß, dass das Skandalthema Drogen sich selbst Reklame genug ist), sind Flugblattaktionen zu allen Zeiten und an allen Orten sinnvoll; besonders gelungen ist aber die Verknüpfung von Allgemeinem und Besonderem in Form von Flugiverteilungen vor Instanzen der repressiven Drogenpolitik (Knästen, Bullenwachen, Anti-Junkie-Bürgerinitiativen) oder dort, wo das "Drogenproblem" geortet wird (offene Szenen, Schulen, Discos).
Auch wenn sie kaum jemand liest, sind Artikel in SchülerInnen- oder StudentInnenzeitungen nie verkehrt; eventuell regt sich ja die Junge Union auf. Spaßiger und manchmal effektiver sind LeserInnenbriefe an Regionalzeitungen, die mit dem Fund von 10g Heroin o.ä. aufmachen - je kleiner das Blatt, desto unzensierter der Abdruck von Zuschriften. Einen netten Buchladen vorausgesetzt, lässt sich jede Aktion mit einem Büchertisch ausschmücken - vgl. dazu auch die von uns zusammengestellte Drogenbibliographie. Zugleich sinnvoll und eine nette Provokation kann es sein, Safer Use-Tipps zu verteilen. Auch hierzu verweisen wir neben den Artikeln in diesem Heft auf akzeptierende Drogeneinrichtungen, die so etwas meist auf Lager haben.
Die beliebten autonomen Formen, öffentliche (symbolische) Hegemonie zu schaffen - Sprayen, Plakatieren und Spukkies verkleben - lassen sich natürlich auch drogenpolitisch einsetzen - nur wird das trotz des geringen Aufwandes verblüffend selten getan.


III. ZUSCHLAGEN
Der öffentliche Konsum von Drogen in Einkaufsstraßen etc., sogenannte Drug-Ins, ist sowohl publikums- als auch pressewirksam und lässt sich mit Thymian (als Haschersatz) in großen Zigaretten oder Fruchtzucker (als Koks- oder Heroinsubstitut), auf Spiegeln in Linien gezogen, recht gut simulieren; kann allerdings - je nach Laune der Staatsmacht - zu Personalienfeststellungen, vorläufigen Verhaftungen und Konfiszierung der Konsumgüter führen. Der öffentlich zur Schau gestellte Besitz tatsächlich illegalisierter Substanzen ist natürlich noch schlagzeilenträchtiger, aber verboten und führt somit - wenn es nicht sehr viele tun - mit ziemlicher Sicherheit zu unangenehmen Konflikten mit den Repressionsorganen.
Ebenso verboten ist das fröhliche öffentlich angekündigte Psilocybinsammeln, XTC-Bastelanleitungen-Verteilen sowie Mohn- und Hanf- Anpflanzen. Geschieht letzteres heimlich, dürfen die UrheberInnen natürlich hoffen, nicht erwischt zu werden und drei Monate später trotzdem ein subversives Ergebnis wahrnehmen zu können.
Wer über genügend Mobilisierungskraft verfügt, kann versuchen, eine Knastkundgebung auf die Beine zu stellen. Vorsicht: Wer sich an Aktionen wie "Spritzen durch die Mauern" versuchen will, d.h. daran, Spritzbestecke beim Hofgang über die Gefängnismauern zu werfen, sollte sich vorher mit Junkieorganisationen oder der Deutschen AIDS- Hilfe absprechen, weil dies auch auf die Knast-InsassInnen zurückschlagen kann, indem z.B. der Hofgang gestrichen wird. (Auch von anderen Formen autonomer/linksradikaler Knast-Soli-Arbeit lernen heißt vielleicht siegen lernen, was die alltägliche Betreuung betrifft; aber das ist natürlich viel Aufwand).
Präsenz zu zeigen gilt es, wenn möglich, ebenfalls bei Bullenaktionen gegen offene Junkieszenen (die oft vorher aus der Zeitung zu erfahren sind) sowie bei der alltäglichen Repression von Polizei und Wachdiensten gegen Junkies, als Dealer pauschal verdächtigte Schwarze und gegen die DrogenhändlerInnen. Welche Form diese Präsenz annimmt, ob mahnendes Schweigen oder lautstarkes Skandieren, ob Übergriffe dokumentiert werden oder sich direkt zur Wehr gesetzt wird, ist dann eine Frage des Gemüts und der strategischen Einschätzung. Zu fünft einen riot starten, ist zwar heldenhaft, aber wenig ergebnisorientiert.
Wer sich's leisten kann, kann "Heroin für Junkies" spenden - privat oder, wirksamer noch, nach Absprache mit Junkie-Inis öffentlich und mit Aufruf. Einen solchen Spendenfonds einzurichten ist natürlich auch verboten.
Zu allerlei Aktionsformen reizen natürlich Einrichtungen menschenverachtender Clean-Therapien, beispielsweise Synanon, deren Praktiken im einzelnen selbstverständlich recherchiert sein wollen. Gleiches gilt für die junkiefeindliche Sitte, in Kneipen Schwarzlicht auf den Toiletten zu installieren, damit man die Adern nicht mehr erkennen kann. Was genau zu tun ist, setzt eigene Phantasie voraus.


IV. LINKE NERVEN
Wenn sie auch sonst nichts mehr davon wissen wollen, in der Frage des Drogenkonsums stehen viele Linke noch immer in der asketischen Tradition des Marxismus-Leninismus und finden Rausch bestenfalls Privatsache, wenn nicht gar konterrevolutionär. Wer sich also in linken Zusammenhängen bewegt, sollte es zu keiner Gelegenheit versäumen, linke puritanische Moral zu verspotten, Alk auf Antifa-Plena zu trinken, wenn es ihm/ihr passt und derlei mehr. Wer in seinem Stadtteil die unsäglichen "Dealer, verpisst Euch!"-Plakate antrifft, tut sicherlich 'gut daran, sie abzuhängen und den spezifisch linken Dealerwahn szeneöffentlich zu thematisieren. (Zum Glück ist die Linke derart in der Krise, dass sie häufig zu jeder Selbstkritik bereit ist; zu sorgen wäre also dafür, dass sie auch vernünftige geliefert bekommt.)


V. REVOLUTION
Die Verhältnisse werden mittels eines bewaffneten Aufstandes umgestürzt und der Kommunismus eingerichtet. Alle nehmen Drogen und sind glücklich.


NÜTZLICHE ADRESSEN

Akzept e. V., Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik, c/o Christine Kluge Haberkorn, Südwestkorso 14, 12161 Berlin, Tel.: 030/ 827 06 946 oder Tel. + Fax 030/ 822 28 02, http://www.akzept.org (Hier sei auch auf die Links verwiesen), E-mail: akzeptbuero@yahoo.de

Deutsche AIDS-Hilfe, Dieffenbachstr. 33, 10967 Berlin, Tel. 030/ 690087-0/-46 (Drogenreferat), Fax 030/6900842 , http://www.aidshilfe.de, E-Mail: dah@aidshilfe.de

Junkies, Ex-User, Substituierte (JES): c/o Deutsche AIDS-Hilfe (s.o.), http://jes.aidshilfe.de/

Junkfurter Ballergazette (Junkie-Zeitung), Friedberger Anlage 24, 60316 Frankfurt am Main, Tel.: 069/24002431, Fax.: 069/ 24002436

Eve & Rave Berlin (Techno & XTC), Postfach: 440519, 12005 Berlin, http://www.eve-rave.net/, E-mail: berlin@eve-rave.net (Es gibt auch noch Gruppen in Münster, Köln und der Schweiz)