31.12.1997 PDF

Stoffkundebroschüre - MDMA (Ecstasy)

Dieser Text als pdf [53kb]



PRODUKT
3,4-Methylendioxy-Methamphetamin, kurz MDMA, von FreundInnen auch Ecstasy (XTC) oder 'E' genannt, gehört zur Gruppe der Phenylalkylamine, zu denen u.a. auch die Amphetamine gehören. (1) Entwickelt vom Pharmakonzern Merck und 1914 als Appetitzügler auf den Markt gebracht (es war schließlich Krieg...), wurde es aber als solcher nie populär. Nach verschiedenen Stationen der Verbreitung - beim US- Militär als Wahrheitsserum, in Psychotherapien, wo es in der Schweiz auch heute noch eingesetzt werden darf - und der Vergessenheit, entdeckten es in den 80er Jahren die Keimzellen der sich formierenden Rave-Bewegung und in den 90ern 'Stern', 'Focus', und andere Medien als Hip-Droge des Jahrzehnts. Seit 1986 fällt es in der BRD unter das Betäubungsmittelgesetz - ein Schicksal, das es sukzessive mit seinen nahen Freunden und Verwandten wie MDA, MMDA, MDEA etc. teilen sollte. Im Rahmen der hegemonialen Kampagnen gegen die ach so unberechenbaren Gefahr der sog. "Designerdrogen" wurde prophylaktisch per Verwaltungsakt alles verboten, was chemisch an Ecstasy erinnert.
MDMA wird als Pille, Kapsel oder Tablette vertrieben, die durchschnittliche Dosierung (und auch die empfehlenswerte) liegt zwischen 80 und 150 mg. Aufgrund der einfachen Herstellbarkeit und der großen Gewinnspannen wird es in Heimlabors produziert, von KleinunternehmerInnen, die ihrem Produkt manchmal ein Herkunftssiegel (Delphin auf der Pille u.ä.) verpassen, auf deren Wiedererkennungswert man sich beim Erwerb dann besinnen kann. Für HobbychemikerInnen ist die Herstellung recht unproblematisch.


GEBRAUCH
XTC wird geschluckt, und nach einer halben bis dreiviertel Stunde tritt zumeist auch die Wirkung ein (wenn es länger dauert, wird es seine Gründe haben - zu viel gegessen, Hemmungen etc. -, so dass sich schnelles Nachwerfen nicht empfiehlt; und wenn die Pille nichts taugte, nützt es eh nichts). Was dann passiert, charakterisierte R. Rippchen einmal in den Farben der Parteipolitik als den rot-grünen Rausch: Der Status quo bleibt, wie er ist, aber selten fühlt er sich so gut an wie unter MDMA. XTC scheint etwas von allen Drogen zu haben: die Energie von Speed, das Selbstbewusstsein von Koks, die Zufriedenheit von Heroin, die entspannte Fröhlichkeit von Haschisch, den Mitteilungsdrang von Alkohol und die Gefühlsintensität von LSD. SchubladensortiererInnen mussten extra eine neue einrichten, um MDMA und Verwandte zu klassifizieren, die Klasse der sog. "Entaktogene". UserInnen verspüren zumeist ein Bedürfnis nach sozialer Interaktion, sei dies nun gemeinsames Tanzen, Kuscheln, Reden oder Schlafen. Auch die banalste Tätigkeit kann einen mit großer Freude erfüllen, und vielen fällt es, aus welchen Gründen auch immer, auf MDMA leichter, den Panzer des bürgerlichen Subjekts aufzuweichen. Nach zwei oder drei Stunden klingt das High in verschiedene Formen von Aufgeräumtheit, süßer Melancholie oder auch Traurigkeit ab, je nachdem auch, wie die Zeit zugebracht wurde. Was sich zwischen Menschen, besonders jenen, die einen schönen Trip geteilt haben, ereignet, hat natürlich länger Bestand als ihr chemisches Unterpfand wirkt. Ob der Zahn der Zeit so daran zu nagen vermag, dass jene Veränderung als Tripnachhall erscheint, ist keine Frage der Stoffkunde mehr. Ein beliebter Schnack jedenfalls behauptet, man solle erst sechs Wochen nach MDMA heiraten.
Ratschläge zur Vorsicht klingen gerade bei MDMA nicht nur mütterlich, sondern sind es größtenteils auch; nur sagt keine Mutter ihrem XTC-trippenden Kind, wie es dabei Lungenentzündungen und Kreislaufzusammenbrüche vermeiden kann - also tun wir's: Weil MDMA tatsächlich ein hocheffektiver Appetitzügler ist, sollte man zumindest ausreichende Flüssigkeitsversorgung nicht vergessen, zumal beim Tanzen in überhitzten Locations. Auch Anstrengungsgefühle werden unterdrückt (das Speedige der Wirkung), und wenn man nicht genau weiß, wie viel der Körper an Bewegung üblicherweise verträgt, sollten zur Sicherheit beim wilden Herumzucken zum 4/4-Beat ab und an Pausen eingelegt werden. Und, ach ja, warm anziehen nicht vergessen, wenn man viel geschwitzt hat... Und natürlich am nächsten Tag nur das vornehmen, worauf Lust besteht.
Wie oft XTC genommen wird, ist eine Frage der persönlichen Priorität und, gerade bei dieser Droge, der finanziellen Disposition. Manch eineR steht mehr auf ritueller Einnahme alle zwei bis drei Monate, manch andereR auf jedes Wochenende mehrfach. Körperlich abhängig macht XTC nicht, aber erstens kann die Wirkung sehr schnell von Mal zu Mal schwächer werden, besonders was den entaktogenen Effekt betrifft, und zum anderen mag es sein, dass, wer seinem Körper dies allzu häufig zumutet, mit diesem auf Kriegsfuß kommen kann. WissenschaftlerInnen, wie immer begierig darauf, die Schrecken neuer Drogen zu fassen zu bekommen, übertragen medienwirksam alle möglichen Verhaltensauffälligkeiten, die bei Ratten nach wochenlanger non-stop-Vergabe von wahnwitzig hoch dosiertem XTC beobachtet wurden, als Schreckbild auf die Partypeople. Das ist natürlich unredlich. Aber eben auch kein Grund, monatelang fünf Pillen täglich zu werfen. Vor allem dann, wenn man Wert darauf legt, nicht selbst 'Verhaltensauffälligkeiten' attestiert zu bekommen. Ansonsten gelten für den chronischen XTC-Werfer die gleichen Warnungen wie für Speedfreaks, was körperliche Auszehrung und die paranoischen Auswirkungen von Schlafentzug betrifft. Andererseits geht es uns zumindest mit MDMA sowieso so wie mit Öko-Camps: Irgendwann hat man es satt, alle lieb zu haben, und man sehnt sich nach einem handfesten Streit.
Symptome wie Übelkeit, Augenzittern und Muskelkrämpfe können eine Begleiterscheinung des Trips darstellen. Werden sie gar zu unangenehm und im Verlauf des Trips immer stärker und sind sie durch ruhiges Hinlegen, Tee trinken, unterstützend Kreislaufmittel oder Spannung ableiten durch Konzentration auf irgend einen peripheren Körperteil nicht in den Griff zu bekommen, kann auch eine Ärztin gerufen werden - auch wenn diese meist nicht allzu emphathisch reagiert. Je höher die Dosis, desto wahrscheinlicher treten diese körperlichen Begleitumstände auf. Für den Fall unerwünschter psychischer Auswirkungen trugen PsychedelikerInnen früherer Tage immer ihr Valium bei sich, das aber niedriger als bei LSD dosiert werden sollte (zum Einstieg ca. 10 mg).
Tipps zur Genusssteigerung bei MDMA sind nicht mehr mütterlich, sondern albern. UserInnen probieren halt alles durch - anders als auf LSD stören keine Halluzinationen die Reflexion, was "in echt" geht. Beikonsum von anderen Substanzen erscheint unterschiedlich sinnvoll: Während Haschisch gerne zum Runterkommen und Abfedern geraucht wird, ist Speed denkbar sinnlos, um die Wirkung zu verstärken - es killt nur das Entaktogene. Schließlich kann XTC eingesetzt werden, um einen sanften und selbstbewussten Einstieg in LSD zu ermöglichen - allerdings ohne Erfolgsgarantie. Alkohol ist, wie so häufig, eine Droge, die gerne alleine bleibt; zusammen mit MDMA erzeugt sie mindestens einen mörderischen Kater.


LITERATUR
Lange Zeit gab es über MDMA als deutschsprachige Literatur nur Rippchen/Weigle, "MDMA", Werner Piepers MedienXperimente, Löhrbach 1992, welches - leicht esoterisch angehaucht - das 'E'- Grundwissen liefert. Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Publikationen, von denen das teure, aber lustig aufgemachte Buch von N. Saunders, "MDMA", Zürich 1995, wohl das bekannteste ist - leider schreibt der Autor arg viele unnötige Verhaltensanweisungen ("Nicht die Nachbarn stören" usw.). Aus der Ecke progressiver Drogenforschung stammt der Sammelband "Design für die Seele", herausgegeben von Neumeyer/Schmidt-Semisch, Freiburg 1997, mit Beiträgen u.a. von AktivistInnen aus Eve & Rave, dem akzeptierenden Techno- & XTC- Verein, die z. T. den Ruch der Sozialarbeit aber auch nicht loswerden. Das bemerkenswerteste Buch aber stammt aus den USA und muss auch dort bestellt werden, nämlich Shulgin/Shulgin, "PIHKAL ? a chemical love story", Transform Press, Berkeley 1992. Verfasst vom Entwickler unzähliger halluzinogener, entaktogener und eigenwilliger Substanzen auf Phenylalkalinbasis, Alexander Shulgin - bekannteste Produkte: u.a. STP, 2-CB, MDBD -, enthält es neben der ehelichen Lebens- und Liebesgeschichte viele Tripbeschreibungen und über 300 Seiten chemische Bastelanleitungen.


MYTHENPRÄVENTION
Allzu viele Mythen gibt es (noch) nicht - die wichtigste ist wohl, dass MDMA eine besonders schlimme, weil synthetische Droge sei. Nun stimmt dies erstens nur halb, da die Grundsubstanz u.a. in der Muskatnuss vorkommt, und wer zweitens mal eine Muskatnuss zum Breitwerden gegessen hat, wird zustimmen, dass die chemische Verarbeitung viele Vorteile und nur das Ressentiment von NatürlichkeitsfetischistInnen gegen sich hat. Auch kann einem - schon aus Geschäftsinteresse - beim MDMA-Kauf nicht alles mögliche untergejubelt werden, sondern wenn, dann ähnliche Stoffe, Speed oder Placebos, was nur ärgerlich, aber nicht tragisch ist, Wer über keine Connection verfügt, fühlt sich daher gut an Orten beraten, wo andere KundInnen bereits Konsumentenbewusstsein entwickelt haben und die Qualität der Produkte entsprechend ist - in Techno-Discos beispielsweise. Und auch sensationell gemeldete XTC- Tote sind kaum für bare Münze zu nehmen -meist entpuppen sie sich bereits im entsprechenden Artikel als MischkonsumentInnen, an deren Tod MDMA noch den geringsten Anteil gehabt haben dürfte. Das Verhältnis von unter knalliger Sonne auf XTC ununterbrochen tanzenden Loverparadern und wegen Kreislaufkoller Behandelten ist jedenfalls jedes Jahr erstaunlich niedrig, und Zusammenbrüche mit Todesfolge unter Beteiligung von MDMA können als äußerst selten angenommen werden. Zu guter Letzt: Liebe 'Bravo-Girl', XTC ist und war auch 1993, als ihr's schriebt, kein "Heroin-Kokain-Gemisch"; dafür wär's zu billig, um wahr zu sein.
Ganz handfest Aufklärung versuchen die bereits erwähnten Eve & Rave zu leisten: nämlich Drug-Testing, d.h. die Analyse gekaufter Pillen auf ihren tatsächlichen Inhalt. Was in den Niederlanden Institute unbehelligt dürfen, ist in Deutschland jedoch von der Repression bedroht: 1996 wurde das Testlabor gerazzt und die zu testenden Drogen polizeilich geklaut. Dennoch: Infos bei Eve & Rave Berlin, Postfach: 440519, 12005 Berlin, http://www.eve-rave.net/, E-mail: berlin@eve-rave.net.






1 Während mit dem Kosenamen 'E' in den 60er Jahren nur MDMA gemeint war, bezeichnet der Markenname 'E' heute neben MDMA eine Vielzahl von chemisch verwandten Substanzen. die in ihrer Wirkung dem MDMA nur teils ähnlich, aber attraktiver zu vertreiben weil unaufwendiger herzustellen sind.