31.12.1997 PDF

Stoffkundebroschüre- Einleitung

Das vorliegende Heftchen ist wohl in erster Linie relevant für Menschen, die sich in einem praktischen Lebenszusammenhang mit psychotropen Stoffen befinden: sei es durch eigenen Konsum, sei es ein über zwischenmenschliche Beziehungen vermitteltes Interesse. Gleichwohl erscheint es unabdingbar, der verehrten LeserInnenschaft einige Worte zur theoretischen Einordnung des Folgenden anzutragen. Es ist üblich, wenn man rauschhafte Erfahrungen macht oder uns von solchen berichtet wird, sie anhand eines bestimmten Mittels, einer Substanz, gedanklich zu vergegenständlichen. Diesem Gedanken folgen implizit die AutorInnen, wenn sie eine Stoffkundebroschüre verfassen. Bei dem Unterfangen sind wir uns jedoch des strukturellen Problems eines solchen Projektes bewusst. Es liegt in der Ideologie, die mannigfaltigen Arten individuellen Drogenerlebens als der jeweiligen Droge, das heißt ihrer pharmakologischen Beschaffenheit wesenhaft zu begreifen. Wir sprechen vom XTC- Trip, vom Haschisch-High und vom Alkoholrausch. Die Droge mache dies oder das mit uns. Sie nimmt in unseren Beschreibungen subjekthafte Formen an. Realiter aber ist das Rauscherlebnis komplexes Kondensat der jeweils individuellen Gefühlssituation, der (sub-)kulturellen Vorannahmen, die über die jeweiligen Wirkungen bestehen, der Umgebung, in der jemand das Mittel zu sich nimmt, der konkreten Ausgestaltung der Einverleibung (man denke zum Vergleich an die Essenskonventionen), anderem mehr und dann auch der chemischen Beschaffenheit des Mittels. Nur derart vernetzt kann über Drogenwirkung sinnvoll gesprochen werden, und keine - nach Möglichkeit prozentualisierte - Aussage über den essentiellen Bestandteil der Chemie am Rausch ist sinnvoll. Nur mit diesem Modell ist erklärbar, warum derselbe Gebraucher z.B. einmal den LSD-Rausch als dämonenhaft beängstigend, ein anderes Mal als 'supra-rational' beflügelnd und wieder ein anderes Mal einfach als reflexionsanregend beschreibt. (1) Wenn nun, wie landein landaus üblich, spezielle Aussagen über die Haschisch- oder Opiumwirkung gemacht werden, ist dies jedoch nicht - wie es der Umkehrschluss anzunehmen nahe legt - einfach Geschwätz. Thomas Szasz, Psychiater und Psychiatriegegner, fasst diesen Komplex folgendermaßen: Das Erörtern "gefährlicher Rauschgifte" in pharmakologischen Lehrbüchern "ist so, wie wenn die Benutzung von Weihwasser in Lehrbüchern der anorganische Chemie behandelt würde. Denn wenn die Erforschung der Drogensucht Aufgabe der Pharmakologie ist, weil Sucht etwas mit Drogen zu tun hat, dann gehört das Studium des Taufzeremoniells zu den Aufgaben der anorganischen Chemie, weil in diesem Zusammenhang das Wasser eine Rolle spielt. (...) Wie andere Menschen Alkohol, Tabak, Heroin oder Marihuana zu sich nehmen bzw. meiden, so benutzen bzw. meiden andere koscheren Wein und Weihwasser. (...) Obwohl es idiotisch wäre, im Wein nach dem Element des Koscheren zu suchen und im Wasser nach dem Element des Geweihten bedeutet das nicht, dass es so etwas wie koscheren Wein und Weihwasser nicht gibt. Koscherer Wein ist Wein, der nach den rituellen Gesetzen der Juden als rein gilt, Weihwasser ist Wasser, das von einem katholischen Priester gesegnet wurde." (2) Ohne Begriff dieser Art von diskursiv hergestellter und in Gesetzestexte gegossener Macht, sozusagen eine zunächst 'herbeigeredete', dann durch institutionalisierten Zwang geschmiedete Rauschnormalität, kann die Suche nach Einsicht in historische und heutige Drogenwirkung und -kultur keinen erfolgreichen Weg nehmen. Sie ist Schlüssel zum Verständnis des sich kratzenden Junkies Elend und des heroininjizierenden Arztes Muße, von Rastafari wie kaum weniger religiöser Verbotsprediger. Der vage Charakter möglicher Wirkungsdimensionen, über die in erster Linie insofern geredet werden kann, als dass sie im Bestehenden der gesellschaftlichen Normierung im Regelfall affin sind, wurde nach Vermögen in die einzelnen Kapitel eingearbeitet. Ein weiteres theoretisch schwer zu rechtfertigendes Verbrechen begingen die AutorInnen in der Selektion der Stoffe, die zwar keineswegs blind geschah, sondern sich nach Bedeutung der Mittel im Bestehenden richtete. (So mag aufgrund der quantitativ ephemeren Rolle, die ihnen momentan als psychotrope Stoffe zukommen, das Ignorieren von Muskatnuss, Tollkirsche und Fliegenpilz noch rechtfertigbar scheinen.) Doch erst in jüngerer Zeit gesellschaftlich illuster gemachte Substanzen - wie die meisten der im Heft katalogisierten überhaupt - von als 'Lebensmittel' bezeichneten Substanzen wie z.B. Zucker oder Milch abzutrennen, ist schon einer Willkür geschuldet, die über den Unterschieden die Gemeinsamkeiten vergisst und gerade neuerdings jene sensationalistisch und herrschaftsstabilisierend aufbläht. (3) In diesem Sinne fordert die von Irmgard Vogt getätigte Definition - "Drogen in diesem [starken] Sinne sind alle Stoffe, Mittel, Substanzen, die aufgrund ihrer chemischen Natur Strukturen oder Funktionen im lebenden Organismus verändern, wobei sich diese Veränderungen insbesondere in den Sinnesempfindungen, in der Stimmungslage, im Bewusstsein oder in anderen psychischen Bereichen oder im Verhalten bemerkbar machen" (4) - antizipatorisch schon zu dem Unternehmen auf, welches Henning Schmidt-Semisch mit seiner Dissertationsschrift (5) in Angriff nahm, nämlich das Augenmerk auf die Gemeinsamkeiten der sogenannten Rausch- oder Genussmittel mit den sogenannten Nahrungs-, Arznei- und Heilmitteln zu lenken. Ihren Zweck hat diese Broschüre - wie sollte es anders sein - im praktischen Kontext. So wenig vorschreibend wie möglich stellt sie einen Ratgeber dar. Fragen, die auf gefahrreduzierenden Gebrauch und die Dauer der Nachweisbarkeit von Substanzen im Körper abzielen, sollen hiermit beantwortet, Gräuelmärchen argumentativ als solche kenntlich gemacht und entkräftet werden. Doch das offensive Unterfangen, Menschen zu einem bestimmten Konsummuster (z.B. dem selbstgratifikatorischen Drogengebrauch) anzuhalten, fällt uns zu schwer. Nimmt jemand aus eigenem Entschluss ein Mittel, so ist das zunächst zu respektieren. Der Grund für die Einnahme liegt in der Hoffnung, mit diesem einen irgendwie gearteten Zweck zu erfüllen. Handlungsgründe wollen - ob mit, ob ohne Drogen - reflektiert, auf ihre Folgen, die recht streng an die jeweilige gesellschaftliche Verfasstheit gefesselt sind, bemessen sein. Wenn jemand meint, er sollte sich für die nächste Anstrengung psychotrope Unterstützung sichern - nebenbei ein durchaus prekärer Plan -, so dient dem Herumquirlen wohl eher Koffein oder Amphetamin und der Beruhigung wohl eher das ärztlich verschriebene (oder sonst wie beschaffte) Barbiturat oder das selbstverschriebene Heroin; über absolute Sicherheit in der Zurichtung zur Zweckdienlichkeit kann jedoch auch der Routinier kaum verfügen. Bevor es aber, so vorbereitet, ans eigentliche Lesen geht, noch einige Worte zum Aufbau der Broschüre: Der geneigten LeserIn wird sich schnell erschließen, dass auf eine strenge stilistische Normierung der Beiträge bewusst verzichtet wurde. Das Besondere der Drogenwirkung sperrt sich gegen seine Verkündung als dürrer wissenschaftlicher Fakt, wie sie sich die diversen Drogen-ABCs zur Aufgabe gesetzt haben; vielmehr wurden den individuellen Neigungen, bei dieser oder jener Droge dieser oder jener Reflexion nachzugehen, kaum Grenzen gesetzt, ohne doch je den Anspruch auf Verbindlichkeit aufzugeben. Dennoch wird in den meisten Beiträgen unsere angestrebte, stets willkürliche Aufteilung in Produkt (Pharmakologie, Geschichte), Gebrauch (deskriptiv wie, im Falle des Safer Use beispielsweise, anregend), kommentierte Literatur und - unser Novum - die Mythenprävention, die Widerlegung einiger beliebter Legenden zu finden sein. Die Kategorie "Suchtpotenz" hingegen wird bei allen Substanzen vergeblich gesucht werden: Aus dem Gesagten ergibt sich bereits, dass der dauerhafte Gebrauch aus den Zwecksetzungen des Subjekts, nicht aus der Pharmakologie des Stoffes folgt. Der Wasserhahn wird schließlich auch nicht für den neurotischen Waschzwang verantwortlich gemacht. Unsere Abneigung gegen Prohibitionsregime, das jährlich Tausende tötet und Zehntausende kriminalisiert, die wir in Flugschriften etc. bereits kundtaten, ist nicht bloß implizit in den Beiträgen aufgehoben, sondern auch explizit in den Vorschlägen zur politischen Praxis - in der Hoffnung, Broschüren wie diese, die, den Schaden in Grenzen halten wollend, immer an der prekären Grenze der Legalität zu wandeln gezwungen sind, zukünftig überflüssig zu machen. Dennoch gilt: Einige der erwähnten Substanzen sind verboten. Wer sie besitzt, macht sich strafbar. Ihre (sub-)kulturelle Verwendung wird dokumentiert, nicht jedoch - unbetrachtet der Tatsache, dass wir auch für die legalen Waren nicht werben - zur Nachahmung empfohlen. Vielmehr sollen die, die bereits zum Konsum entschlossen sind, angeregt werden, sich noch zuvor das eine oder andere Wissen anzueignen. Ein in diesem Sinne genussvolles Studium wünscht BAK DROGEN DER JD-JL, 1998


1 Praktisch gewendet ist gerade diese Erkenntnis von eminenter Relevanz, was den/die LeserIn nicht zur Durchkonzeptualisierung des Rauscherlebnisses zwingen soll, doch zu positiver Ausgestaltung eben dessen einlädt. 2 Szasz, Thomas: Das Ritual der Drogen, Wien 1978, S.11f: 20. 3 vergl.: BAK Drogen der JD/]L: Keine Macht ohne Drogen, Eigenverlag, 1995. 4 aus: Scheerer/Vogt: Drogen und Drogenpolitik, Campus, Frankfurt/New York 1989. 5 Schmidt-Semisch, H.: Die prekäre Grenze der Legalität, AG SPAK Bücher, 1994.