03.11.2006 PDF

NPD-Aufmarsch verhindern, Deutschland bekämpfen

Was Nazis und Demokraten aneinander stört von der Gruppe „Kritik im Handgemenge“ Bremen

[An diesem Text entzündete sich einmal im Juni 2007 eine Leser_innenbriefdebatte und dann nochmal im Jahr 2014 eine Leser_innenbriefdebatte_2]

Am 4.11.2006 demonstriert die NPD in Bremen-Gröpelingen. Unter dem Motto "Arbeitsplätze statt Kriegseinsätze" versuchen die Nazis, die verbreitete Unzufriedenheit mit der hohen Arbeitslosigkeit und den Unmut über die angeblich viel zu israelfreundliche deutsche Nahost-Politik zu verbinden, und sich als nationale Opposition zu profilieren. Das passt ganz gut zur Strategie der NPD, sich als Erbe links gemeinten Protests präsentieren, und sich überhaupt als Anwalt aller Unzufriedenheit deutscher Staatsbürger mit Staat, Gesellschaft und Wirtschaft darzustellen. Dagegen gibt es Protest.Dass viele Menschen gegen die Nazis auf die Straße gehen, ist gut: Nazis sind gefährlich. Sie bedrohen alle Menschen, die sie als nicht-deutsch, undeutsch oder antideutsch sortieren. Die NPD macht solche Aufmärsche, um Aufmerksamkeit zu erregen und Stärke zu zeigen. Solche Machtdemonstrationen zu verhindern, der NPD nicht die Straße zu überlassen, sich und den von den Nazis bedrohten Gruppen zu signalisieren, dass es viele Menschen gibt, die den Möchtegern-Hitlers Widerstand leisten (wollen), dagegen spricht nichts. Will man aber Nazis wirksam bekämpfen, muss man vor allem den Grund, warum es sie gibt bekämpfen. Erklärungsversuche und entsprechende Lösungsvorschläge gibt es so einige: Wären Nazis vor allem arme, ungebildete, arbeitslose Jugendliche, die aus Frust Faschisten werden, dann wären Arbeitsplätze für alle eine ganz gute Sache, um den Nazis das Wasser abzugraben. Wären Nazis Leute, die mit ihren Eltern Probleme hatten und darum einen starken Vater Staat wollen, wären ein paar gute Psychotherapeuten gefragt, um den Jungs (und den paar Mädchen) bei der Bewältigung ihrer unglücklichen Kindheit zu helfen. Hätten Nazis vor allem sexuelle Probleme und würden ihre unterdrückte Sehnsucht nach Liebe in Form von Brandanschlägen und Morden ausdrücken, müssten wir wohl alle in den sauren Apfel beißen, und... (daran wollen wir gar nicht denken!). Leider sind weder Arbeitsbeschaffungsprogramme, noch Psychotherapien, noch Sex-Workshops die richtige Antwort. Aus einer bestimmten sozialen Lage lässt sich niemals ableiten, was man über sie denkt. Menschen machen sich durchaus verschiedene Reime auf die gleichen Umstände und ziehen daraus höchst unterschiedliche Konsequenzen - sowohl im Denken als auch in der Praxis. Darum haut die Gleichung arbeitslos = faschistisch nicht hin. Es gibt ja nicht nur genügend Arbeitslose, die ganz bestimmt keine Nazis sind, sondern auch genug Nazi-Kader, die einen sicheren Job haben und gut verdienen. Mit Eltern haben viele Leute Probleme. Aber egal ob es zu brutale Väter, zu übermächtige Mütter oder zu nachgiebige Eltern sind, die angeblich für die faschistischen Vorstellungen ihres Nachwuchses verantwortlich sein sollen, auch hier ist es doch immer eine Frage, was man selbst aus den Konflikten mit seinen Eltern für Lehren zieht. Wer viel verhauen wird, wird deswegen keineswegs unbedingt zum Schläger, sondern findet Gewalt vielleicht auch ganz doof... Über das Gefühls- und Sexualleben der Nazis wissen wir nicht allzuviel. Aber: Wäre sexueller Frust oder mangelnde Zärtlichkeit der Grund für Faschismus, dann würden ziemlich viele Leute in diesem Land Nazis sein müssen. Und nicht nur hier, sondern überall in der Welt. Solchen und ähnlichen Theorien ist gemeinsam, dass sie die Nazis nicht politisch ernst nehmen. Sie tauchen nur als Verlierer und Psycho-Wracks auf, Blödiane, die zwar gefährlich sind, aber um deren Inhalte man sich nicht kümmern muss, weil es "eigentlich" um was ganz anderes geht. Das mag einem zwar das beruhigende Gefühl geben, denen moralisch und geistig schwer überlegen zu sein. Aber bei der Klärung, warum immer wieder viele Leute die Parolen der Nazis ganz in Ordnung finden, hilft das nicht. Wenn ein breites Bündnis gegen die Nazis demonstriert, dann leider nicht deswegen, weil es gemeinsam gegen die Inhalte des Naziaufrufs protestieren will. Die Forderung "Arbeitsplätze statt Kriegseinsätze" finden viele vernünftig, ebenso die Vorschläge der Nazis, gespartes Geld lieber zur "Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen und eine menschenwürdige Unterstützung von Arbeitslosen, Alten und Kranken" einzusetzen. Eben weil die politischen Forderungen der Nazis heute so wenig von den Forderungen der demokratisch gesinnten Durchschnittsbürger abweichen, vermuten letztere dann auch Betrug und Vertuschung auf Seiten der Nazis. So würden die Nazis entweder ihre eigentlichen Ab- und Einsichten unterschlagen, etwas anderes schreiben als sie meinen oder hätten den Aufruf bewusst knapp und ungenau formuliert, so dass man darin vieles lesen könne. Einsehen, dass Demokraten und Faschisten tatsächlich (ganz ehrlich!) viele Gemeinsamkeiten in Überzeugungen und Interessen haben, wollen sie nicht. Was die Nazis wollen, sagen sie recht deutlich in ihrem Aufruf. Sie wollen einen starken Staat, ein erfolgreiches Deutschland, Arbeitsplätze für Deutsche und keinen Staat, der fremden Interessen dient. All das können auch Demokraten bedenkenlos unterschreiben. Ob es ihnen nun als "natürlich" oder "vernünftig" erscheint für Deutschland zu sein - dass Deutschland erfolgreich sein soll, darin sind sich nun wirklich alle einig. Worin der Staat Erfolg haben soll, ist auch klar: in der weltweiten Konkurrenz der Nationen um Macht und Reichtum, plus den davon abgeleiteten Renommee-Wettbewerben, von PISA bis zur Fußball-Weltmeisterschaft, zum Wohle der nationalen Ehre. Vom Erfolg des eigenen Staates sind die Leute in soweit tatsächlich abhängig, als daß dessen Misserfolg ihnen jede Menge Beschwerlichkeiten bereitet. Andersherum beschert der Erfolg des eigenen Staates den meisten Menschen nun nicht ein schönes Leben, sondern allenfalls das Glück, sich kräftig für die Gewinne "ihrer" Unternehmen krummzulegen und auch sonst beständig ihre Leistungsbereitschaft für "Volk und Vaterland" nachzuweisen. Diese schädliche Abhängigkeit finden Nazis genau wie viele Demokraten total in Ordnung. Nazis halten am Ideal, der Staat und die Wirtschaft sollen für das Volk da sein, fest. Gemessen an diesem Ideal meinen sie, dass der Laden nicht gut läuft. Und weil so viele Leute gewohnt sind, ihr privates und das nationale Wohlergehen so ziemlich für das Gleiche zu halten, weil sie glauben, dass es ihnen besser gehen wird, wenn es dem Staat gut geht, haben Nazis oft Oberwasser, wenn es Leuten schlechter geht. Denn, so der nationalistische Kurzschluss im Staatsbürger-Hirn, das kann ja nur daran liegen, dass der Staat zu schwach sei, seinen eigentlichen Aufgaben nachzukommen. Eine Kritik an dem Wahnsinn, dass Menschen sich in Völkern zusammenrotten, um sich qua Standortkonkurrenz das Leben zur Hölle zu machen, wird man weder von Nazis noch von vielen Antifaschisten zu hören bekommen. Vor allem agitiert die NPD für die Schaffung von Arbeitsplätzen in ihrem Demo-Aufruf. Wenn die NPD plötzlich redet, als hätte sie der IG Metall die Flugblattvorlage geklaut, klingt das erst mal komisch — aber nur für solche Leute, die die heiße Liebe der Nazis zur Lohnarbeit nicht ernst nehmen wollen. Die allermeisten Menschen teilen schließlich die Ansicht, dass Arbeit zu haben eine feine Sache sei. Was aber soll eigentlich so toll sein an einem Arbeitsplatz? Nur weil der Großteil der Menschheit verzweifelt darauf angewiesen ist, Arbeit zu haben, wird das dadurch noch lange nicht gut. Auch dass Leute in Depressionen verfallen, wenn sie keine Arbeit haben, ist kein Hinweis darauf, dass Arbeit eine tolle Sache ist. Es ist eher Ausdruck davon, wie sehr viele Menschen verinnerlicht haben, dass in dieser Gesellschaft die Existenzberechtigung damit steht und fällt ein nützliches Gesellschaftsmitglied zu sein. Es geht ja auch nicht einfach um Arbeit — also Bearbeitung der Natur zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse — sondern um Lohnarbeit: also Dienst an fremdem Reichtum. Wer Arbeitsplätze fordert, stimmt damit zu, dass Menschen als eigentumslose Verkäufer ihrer Arbeitskraft darum kämpfen müssen, dass ein Kapital sie gebrauchen kann. Faschisten finden Arbeit total toll. Für sie ist das Leben ja immer Kampf und Dienst am Höheren, nämlich an der Volksgemeinschaft. Da finden sie die Arbeit und den Verzicht, in den sich die Menschen im Kapitalismus schicken lassen, prima - und das unterscheidet sie übrigens von der IG Metall. Dass die Leute sich abrackern und dabei von der Wiege bis zur Bahre ihre Arbeitgeber mit Reichtum und ihr Vaterland damit mit wirtschaftlicher Macht versorgen - das finden Nazis richtig gut. Was ihnen nicht so gefällt, ist, dass die ehrlichen Knechte von Kapital und Staat sich gar nicht immer krummschuften können, obwohl sie doch so gerne dazu bereit sind (und sein müssen). Darum kämpfen Nazis für das Recht der „Soldaten der Arbeit“ auf Ausbeutungsgelegenheiten. Wenn die NPD sich gegen Kriegseinsätze wendet, kommt schnell die Frage auf, was die Fans von Omas und Opas Wehrmacht eigentlich dagegen haben. Dass Leute in Uniform gesteckt werden, und fahnengeschmückt losziehen, um im Interesse ihres Staates Ausländer abzumurksen: Wieso sollten Nazis dagegen sein? Wenn die NPD in Sachen Libanon auf Nationalpazifismus macht, vertritt sie, wie so häufig, nur die radikalere Ausgabe des herrschenden Nationalismus. Der Zuwachs an Macht für Deutschland wird nämlich seit einigen Jahren dadurch begleitet, dass es sich als Weltfriedensmacht zu etablieren versucht. Selbst die Kriege, die mit deutscher Beteiligung geführt werden, werden als Friedenseinsätze verkauft. Was die Nazis an dem anstehenden Militäreinsatz der Bundeswehr im Libanon vor allem stört, ist kein großes Rätsel. „Kein deutsches Geld für fremde Interessen“, heißt es im Aufruf zu ihrer Demo. Und dies verrät zweierlei: 1) Pazifisten sind sie nicht. An deutschen Kriegen im deutschen Interesse haben sie nichts auszusetzen. 2) Sie begreifen nicht, dass eine kapitalistische Großmacht wie Deutschland sich überall einmischen und an der Verwaltung der kapitalistischen Weltordnung beteiligen muss. Sie können sich einfach nicht vorstellen, dass die Bundesregierungen bisher ganz ohne Vernichtungslager und Eroberungsfeldzüge Deutschland zur Weltmacht gemacht haben — und darum wittern sie überall, dass ihr geliebtes Vaterland von bösen fremden Interessen unterjocht wird. Im Regelfall ist das die „jüdische Weltverschwörung“ insbesondere im vorliegenden Fall: Israel mögen die Nazis gar nicht — und sind da schon wieder einig mit der deutschen „Volksseele“. Bei diesem Kriegseinsatz wird die deutsche Politik nicht müde zu behaupten, sie würde nur aus heißer Liebe zum Existenzrecht Israels die schwere Bürde auf sich nehmen, an der libanesischen Grenze die Bundesmarine herumschippern zu lassen. Glauben muss man das der Bundesrepublik nicht. Sie ist zwar schon enttäuscht, dass die von der EU massiv gesponserte Palästinensische Autonomiebehörde und ihre arabischen Handelspartner sich so gar nicht in das europäische Weltmachtprogramm einpassen wollen. Zu Freunden Israels sind die Europäern darüber aber alle nicht geworden; ihr Aufmarsch dort ist Ausdruck der Hoffnung, endlich eine entscheidende Rolle im Nahost-Konflikt spielen zu dürfen. Fast möchte man fragen, was eigentlich Demokraten an Faschisten stört. Der Nationalismus kann es nicht sein. In einem Land, durch das gerade erst im Sommer eine Welle der Begeisterung für "sich selbst", für "uns", für "Deutschland" schwappte, passt eine Partei, deren Programm "Deutschland zuerst" heißt, doch eigentlich prima. Die Nazis denken konsequent das zu Ende, was die ganz normale bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft zur Grundlage hat: Staat, Nation, Volk, Kapital. Und genau das ist das Problem der Demokraten: Die Nazis sind so konsequent, dass sie keine Rücksichten nehmen wollen auf die Weltordnung, die Deutschland mitgestaltet hat. Als gute Nationalisten wollen sie rücksichtslos ihrer Nation, und als harte Idealisten einer Volksgemeinschaft dienen, in der alle nichts anderes tun, als sich für "Volk und Vaterland" aufzuopfern. Nazis können sich weder unterschiedliche Interessen vorstellen, noch ist ihnen klar, wozu man die Führung, die das umsetzt, langwierig wählen soll. Wenn Antifaschisten diese Gesellschaft gegen ihre radikalen Fans verteidigen, dann schützen sie jene Verhältnisse, die die ganze Zeit über Faschisten hervorbringt. Und das ist nicht nur theoretisch falsch, sondern politisch dumm.