Im November 2007 erreichte uns folgender Leserbrief in Reaktion auf den unseren Selbstverständnistext 'Über uns'Unsere Antwort folgt darunter

L. aus B. schreibt:
mir ist in eurem "über uns"-text ein irrelevantes detail aufgefallen, und ich dachte, ich weis einfach mal darauf hin. ihr schreibt: 
"Übrigens stört uns nicht das gute Leben der Herrschenden. Sondern daß Schampus und Seide nicht für alle weltweit stinknormal sind, obwohl das möglich wäre." 
in der stossrichtung teile ich diese ansage natürlich, jedoch sagt wikipedia: 
"Die Raupen verpuppen sich, wobei sie die Seide in speziellen Drüsen im Maul produzieren und in großen Schlaufen in bis zu 300.000 Windungen um sich herum legen. Sie werden in ihren Kokons mithilfe von Heißwasser oder Wasserdampf vor dem Schlüpfen abgetötet, um zu verhindern, dass diese zerrissen werden." 
daraus schliesse ich spontan, dass es durchaus probleme bereiten könnte, seide "für alle weltweit" herzustellen. (dieser widerspruch könnte euch im entscheidenden moment das genick brechen!) zudem schiene es mir (als wenig ökologie-begeisterte) schon etwas bedenklich, mit den ganzen raupen. ihr versteht. 
noch etwas ernsthaftes: "Auch jener soziologische Bilderbuchmarxismus mit seinen farbigen Klassen, Schichten und sozialen Gruppen, in dem es von "Kräfteverhältnissen" und "Interessen" nur so wimmelt, aus denen dann auch noch die richtige Strategie entspringen soll, ist bei uns nicht wohlgelitten." habt ihr dazu schon etwas geschrieben? oder halt n link oder sowas? interessiert mich. dankeschön.

Hallo L.! erst mal zum spaßig gemeinten Argument: Du willst ja auf die Beschränktheit der ökologischen Ressourcen hinaus. Das haut bei Seide nicht so recht hin, erstens gibt's ja auch schon ganz schön viel davon, und zweitens gibt es noch größere Ecken der Welt, wo wir Maulbeerbäume anpflanzen könnten, Seidenraupen züchten - Kleinigkeit. (Mit dem Champagner hättest du uns eher kriegen können; denn genug weiße Weintrauben in einer französischen Region anzubauen, um die ganze Welt zu versorgen, wird schwierig. Aber was sollen wir dir die Argumente liefern, auf die du nicht gekommen bist. :-)) Der Ernst zum Spaß: Seide und Champagner stehen für heute luxuriöse Bedürfnisse, die mit Leichtigkeit befriedigt werden könnten, wenn dies denn der Zweck der Produktion wäre. Die Armut und die Einschränkung heute sind nicht Folge davon, dass es technisch nicht möglich wäre, den Menschen ein lebenswertes und durchaus angenehmes Leben zu sichern. Zudem: Die alte VWL-Weisheit, die Ressourcen der Welt seien endlich, die Bedürfnisse aber unendlich, ist ein Quark und eine Verlängerung von Verhältnissen, in denen Leute dauernd nicht zum Zuge kommen. Solange das so ist, und Geld der Maßstab der Bedürfnisbefriedigung ist, würden Leute immer ganz viele Sachen von allem Habbaren haben wollen, um es zu veräußern, Geld einzunehmen und sich den unbegrenzten Zugriff auf alle möglichen Dinge zu eröffnen. Die ganze Zeit aber nur mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass schon wieder eine Zeit kommen wird, wo sie das nötig haben, weil sonst ihre Bedürfnisse nicht befriedigt werden. Ansonsten sind Bedürfnisse gar nicht maßlos, spätestens der fünfte Seidenpyjama wird langweilig. Nicht alle mögen Seide, nicht jedem schmeckt Champagner; darum machen wir uns übrigens auch in einer befreiten Gesellschaft keine Sorgen um die Lachs- und Störbestände - du weißt schon, Lachshäppchen und Kaviar für alle. In dem Moment wo diese Dinge kein Luxus mehr sind, sondern Gebrauchswerte, die für alle zugänglich sind, wie viele andere auch, lässt auch ihre Faszination nach.

Zum Ernst: nee, haben wir nicht. Man kann zwar bei einigen Texten von uns erahnen, was uns an all denen stört, die die Welt nur als - geronnene, erkämpfte, verdichtete usw. - Kräfteverhältnissen interpretieren. Sie wollen auf die Veränderbarkeit der Welt hinaus, was wir ja okay finden, aber unterschlagen erst mal, was die "gegebenen Verhältnisse" mit den Menschen machen und ihnen als Notwendigkeit aufherrschen. Mit Marx haben solche Theorien mit bedeutungsschwangeren Ideen, was "die Kleinbürger", "die Angestellten", "die Industriearbeiter" gerade objektiv wollen müssen, zwar ein bisschen was zu tun, aber richtig sind sie nicht. Eine ökonomische Lage schafft zwar objektive Interessen, aber keineswegs ein bestimmtes Bewusstsein über diese Lage und diese Interessen. Was uns fast noch mehr stört, ist, dass diese Leute aus der Tatsache, dass die Arbeiterklasse bestimmte Dinge erkämpfen musste, immer nur festhält, dass sie "immerhin" erkämpft wurden - und sich damit über die Gemeinheit von Verhältnissen hinwegsabbelt, die es nötig machen, noch die simpelsten Voraussetzungen der eigenen Existenz gegen Staat und Kapital durchsetzen zu müssen. Du findest, dass das jetzt mehr behauptet, als bewiesen ist? Recht hast Du. Komm einfach mal auf ein Seminar und diskutier mit uns. Liebe Grüße, X.