30.08.2006 PDF

Dein persönlicher Kontrolleur in der Tasche - Chipkarten an der Hochschule

Bis vor ein paar Jahren konnte praktisch jeder in beliebiger Unis reinspazieren, Vorlesungen besuchen, in der Mensa essen etc. Daß es innerhalb oder vor der Hochschule keine Einlaßsperren, Türhüter oder dergleichen gab war nie als besondere Freiheit gelobt oder überhaupt erwähnt worden. Kein Wunder, denn zu etwas anderem als zum - mehr oder weniger zielstrebigen - Erreichen eines Abschlusses waren Hochschulen kaum jemals zu gebrauchen, waren sie doch nie berühmt dafür, ihren Bewohnern einen üppigen Lebensstil zu bieten. Und nur wer die Selektionsschranke der Hochschulzulassung überwunden hatte, war zur Teilnahme am Wettlauf um den Abschluß überhaupt zugelassen.

Damals - sagen wir zwischen den 60ern und den 90ern - waren die Student dazu angehalten, den Abschluß mehr oder weniger aus eigenem Antrieb zu erreichen. Es galt mit solcherlei Eigenintitiative die eigene Brauchbarkeit als akademische Arbeitskraft zu belegen. Der heutigen Bildungspolitik gilt das als ein viel zu nachsichtiger Blick auf das Menschenmaterial an den Hochschulen. Das Studieren barg schon immer für denjenigen, der einen so großen Teil seiner Existenz als Arbeitskraft in seine Ausbildung steckt, das Risiko, als überflüssig zu enden. Das ist heute mehr denn je der Fall, gilt aber als Lauf der Welt. Als wirklich störend gilt hingegen das Risiko, wie es sich aus Sicht des Staates darstellt: Die Hochschule als schwarzes Loch einer Investition, die sich sowohl langfristig und grundsätzlich ("Bildung ist Deutschlands Rohstoff"!), als auch zielgerichtet und punktgenau rentieren soll. Die Konsequenz ist klar: Die "Ressource" Hochschule soll effektiver benutzt werden.

Also ist die Disziplin der Beteiligten gefragt, wobei man es nicht bei einem leeren Appell beläßt. Vielmehr wird ein verwaltungstechnisches Korsett geschnürt, daß die Benutzung jedes einzenen Studiengangs, einschließlich aller individuell erforderlichen Studienzeiten, -leistungen mess- und steuerbar macht. Auf einmal ist es nicht mehr ganz egal, ob jemand einfach so in die Mensa reinspaziert. Erst recht ist es nicht egal, ob jemand in die zweite oder dritte Vorlesung zum selben Studienthema reinspaziert - obwohl er's bereits in der ersten Vorlesung kapiert haben könnte, oder vielmehr kapiert haben soll und muß.

Die auf das Eigeninteresse der Studierenden setzende Disziplinierung wird ergänzt um einen technischen Apparat, und hier kommmen Chipkartensysteme mächtig ins Spiel. Mit zugleich immer weniger Verwaltungsaufwand wird mittels dieser Systeme in ihrer einfachsten Form heute bereits hin- und hersortiert. Beispiel: Karten regeln als Zahlungsmittel in der Mensa, wer in das Privileg eines subventionierten Essens kommt und wer nicht. Der nächste große Schritt sind personalisierte Multifunktionskarten. Bereits heute spiegelt sich an mancher Hochschule jede erbrachte Studienleistung, jede Zulassung und die Restlaufzeit des Studiums in einem zentral gespeicherten persönlichen Datensatz wieder. Noch potenter wird ein solcher Datensatz, wenn er qua Vernetzung mit der persönlichen Chipkarte stets von überall her ausgelesen und aktualisiert wird. Die Erfüllung der verwaltungsmäßigen Vorgaben durch den Studenten wird so direkter nachvollziehbar sein als je zuvor - für den Studenten selbst und für die Verwaltung. Es wird auch möglich sein, Privilegierungen, physische Zugänge etc. mehr oder weniger eng mit der Tätigkeit und dem Status des jeweiligen Studierenden zu verknüpfen.

Von den Hochschulverwaltern wird die Einführung der Chipkartensysteme als ein Service für die Studierenden dargestelllt. Und tatsächlich hilft diese Technik das Ideal eines verwalteten, disziplinierten, transparent gemachten Studierens zu verwirklichen, dessen Notwendigkeit im Bewußtsein der Beteiligten ohnehin verankert ist. Heute studiert man eben nicht mehr "drauf los", sondern muß es zielgerichteter als zuvor auf den Abschluß angelegt haben: Man kennt seine Prüfungsordnung, die Studiengebühren, Strafgebühren bei Übertretung der Regelstudienzeit und ggf. Ausnahme- und "Kulanz-"Regeln, und natürlich den Stand des Studienkontos. Letzteres ist ein "Konto" für etwas, das es früher
selbstverständlich unbegrenzt gab. Mit der Chipkarte trägt man nun jederzeit das Kontolimit mit sich herum. Wenn das nicht komfortabel ist!

Bereits seit vielen Jahren wird an der Einführung von Geschäftssignatur-, Bürger- und Krankenakten-Karten und nicht zuletzt Identifikationschips auf Personal- und Reisepässen gearbeitet. Die schon relativ weit fortgeschrittene Einführung der Chipkartensysteme an Hochschulen soll dabei helfen. Nicht zuletzt, indem die Karten an der Aura von Jugend, Ideenreichtum, technischem Fortschritt und
individueller Entfaltung teilhaben sollen, die an den Hochschulen so allgegenwärtig sei. Vielleicht ist es auch so, daß wer bereits im Studium stets mit dem Kontrolleur in der Tasche irgendwelchen Anforderungen nachgekommen ist, dies irgendwann für selbstverständlich hält. Und später als Mitglied der akademisch geschulten Verwaltungselite umso kreativer neue Einsatzbereiche für viele kleine persönliche Kontrolleure in der kapitalistisch verwalteten Welt findet.