04.05.1999 PDF

Bomben auf Belgrad - Deutschland im Auftrag des Völkerrechts

Gerechte Kriege gibt es nicht. Das weiß sogar das deutsche Fernsehen. Manche Kriege aber müssen trotzdem geführt werden; nämlich solche, die eine humanitäre Katastrophe beenden - wenn nämlich ein Despot, ein Machtmensch, jemand, der seine eigene Macht über das Wohl seines Volkes stellt, glaubt, er könne machen, was er wolle. "Aggression darf sich nicht lohnen", sagt Außenminister Fischer. Gerechte Kriege gibt es zwar nicht, aber manchmal liegt die Verantwortung und damit auch das Unrecht nur auf einer Seite: "Der serbische Aggressor hat es aufgrund seiner Starrköpfigkeit nicht anders gewollt und muß nun die Konsequenzen für sein unverantwortliches Handeln tragen. Den Militäreinsatz der NATO hat alleine der serbische Aggressor zu verantworten", glaubt SAT.1 am 25.März 1999 erkannt zu haben. Es ist eine alte Masche, sämtliche Gründe eines Krieges damit zu vertuschen, daß Haß und Wut gegen den im gegnerischen Staatsoberhaupt personalisierten Feind geschürt werden. Der Vergleich des Staatsoberhaupts mit anderen längst als wahnsinnig abgestempelten Despoten ist dazu ein effektives Mittel, und so ist es kein Wunder, daß der Name Saddam Hussein so oft in einem Atemzug mit Milosevic genannt wird. Mit Hitler vergleicht das Fernsehen Milosevic freundlicherweise nicht, gleichwohl hört man diesen Vergleich mitschwingen, wenn zum Beispiel davon geredet wird, daß es 50 Jahre keinen Krieg auf europäischem Boden gab. Solche Propaganda geschieht in Deutschland in den wenigsten Fällen bewußt. PolitikerInnen und Medien wollen nicht einmal die Wut der StaatsbürgerInnen schüren, was zweckmäßig wäre, sondern sie drücken wirklich ihre Meinungen aus. Wenn alle die gleichen falschen Ansichten über den Zweck von Staaten haben, fühlt sich einer von den anderen bestätigt. Dennoch bleiben diese Ansichten falsch. Daß der Staat ein Gewaltzusammenhang ist, erfahren seine BürgerInnen tagtäglich; vor allem die ArbeiterInnen, die kein Privateigentum haben, nur ihre Arbeitskraft verkaufen können und sich damit ausbeuten lassen müssen.


Der Staat ist dazu da, dieses Verhältnis zu perpetuieren. Im Grundgesetz heißt das: "Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet." (Artikel 14) Damit sind alle Menschen formell gleich; wenn sie Eigentum haben, dürfen sie es auch haben. Für ArbeiterInnen, die aber eben kein Privateigentum haben, ist diese Gleichheit Hohn. Der Staat ist keineswegs dazu da, das materielle Glück der einzelnen zu garantieren, sondern die Konkurrenz in geregelte Bahnen zu bringen. Sein Interesse ist die Vergrößerung des Reichtums, und der wird in der kapitalistischen Produktionsweise durch die Ausbeutung von Lohnabhängigen geschaffen. Ganz gleich also, ob PolitikerInnen denken, sie handelten zum Wohle dessen, was sie ihr Volk nennen, schaffen und erhalten sie notwendig die Bedingungen der Möglichkeit dieser Ausbeutung. Damit ist die Beschuldigung richtig, Milosevic stellte seine eigene Macht über das Wohl seines Volkes; sie trifft aber nicht nur auf ihn zu, sondern auf alles Staatspersonal überall. Wenn das Gesetz immer schon Recht der Sieger, beziehungsweise der EigentümerInnen, ist, kann weder der Krieg aus diesem vernünftig begründet werden, noch kann sich eine vernünftige Kritik des Krieges affirmativ auf es beziehen, so wie es die PDS versucht. Das Völkerrecht, mit dem Krieg sowohl kritisiert als auch befürwortet wird, ist durch und durch ideologisch. Dieses Recht hat in erster Linie den Zweck, die Konkurrenz zwischen den Staaten zu regeln. Es setzt jeden Staat in die Funktion des Aufpassers und Anklägers, der auf dieser Grundlage legitime von illegitimen Interessen anderer Staaten scheiden kann. Auch das Völkerrecht ist immer ein Recht der Sieger. Es wird garantiert von der wirtschaftlichen und militärischen Gewalt der Staaten, die einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat haben. Einzig diese Staaten, allen voran die USA als die nunmehr einzige Weltmacht, haben die Gewalt, dieses Recht nach ihren Zwecken auszulegen. Heute kann die USA sich ihrer Machtstellung so sicher sein, daß sie den Weltsicherheitsrat übergeht, und daß die Entscheidungsgewalt über den Einsatz militärischer Mittel allein der NATO zufällt.

Völkerrecht soll ein Recht der Völker sein. Jeder affirmative Bezug auf ein Volk ist aber falsches Bewußtsein; er setzte voraus, daß Menschen von anderen Menschen wesentlich unterschieden wären, sei es durch Blut, Sprache oder Kultur. Durch Blut sind Menschen aber nicht unterschieden, und sprachliche wie kulturelle Unterschiede sind heutzutage erst Folgen des Willens zum Nationalstaat. Wenn sich eine Gruppe von Menschen als Volk fühlt und deshalb einen souveränen Staat fordert, so ist das genauso zu kritisieren wie die gewaltsame Unterwerfung dieser Gruppe unter eine andere Staatsgewalt. SerbInnen wie Kosovo-AlbanerInnen kämpfen für die Ausübung von Herrschaft, nur mit verschiedenem Personal. Eine vernünftige Kritik, welche die von Herrschaft überhaupt ist, kann sich deshalb auf keine der beiden Seiten schlagen.

Die Kritik der USA ist eine andere: sie unterscheidet rechtmäßige und unrechtmäßige Herrschaft nach dem Kriterium der Menschenrechte. Durch Menschenrechte regelt ein Staat das Verhältnis der BürgerInnen untereinander, die Form der Konkurrenz: Freiheit und Gleichheit sind einzig Freiheit und Gleichheit zum Verträge schließen. Wenn ein Staat seine BürgerInnen in anderer Weise in ein Verhältnis zu sich setzt, so ist die Ausübung seiner Herrschaft nach dem Kriterium dieser Menschenrechte illegitim. Nur so gelingt es den USA, Milosevic als Aggressor zu stigmatisieren. Von diesem Kriterium machen sie ihr Handeln aber nur dann abhängig, wenn dieses Handeln für sie eine Funktion erfüllt. Dem türkischen Staat wird trotz seiner Repressionen gegen kurdische NationalistInnen nicht mit Krieg gedroht, da er ein Bündnispartner ist. Mit der Zersplitterung des Balkans, die mit der Anerkennung Kroatiens und Sloweniens durch Deutschland und seine Bündnispartner begann, kann der Einfluß der westlichen Welt in dieser Region vergrößert werden. Das Abkommen von Rambouillet legt von vornherein fest, wie der Kosovo-Staat aussehen soll; nämlich so, wie die NATO es sich vorstellt. Von der Erfüllung dieses Abkommens macht die NATO ihre Unterstützung für die UCK abhängig. Deutschland als stärkstes Land in Europa kann in diesem Konflikt seine Macht und Bereitschaft zur Verantwortung beweisen und will sich den ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat sichern. Wenn Deutsche um den Sieg ihrer Soldaten fiebern und stolz auf die Rolle ihres Staates sind, zeigt dies, daß sie den Zweck von Staaten und deren Handeln nicht verstanden haben.

Humanität zu beteuern und zugleich einzuräumen, dass zivile Opfer nicht zu vermeiden sind, wenn man Jugoslawien in die neue Weltordnung bombt, ist zynisch.

Dieser Text erschien 1999 als Flugblatt.