20.02.2002 PDF

2003 - mal wieder ein Jahr der miesen Alternativen: Ein US-Krieg gegen den Irak oder der deutsche Weg zum Frieden?

100.000 Soldaten in der Golfregion; ein Präsident, der bei jeder Gelegenheit "The game is over" sagt; die Erklärung, in den nächsten zwei Jahren werde ein US-General den Irak regieren: Die USA machen kein Geheimnis aus ihren derzeitigen Absichten. Sie wollen die Regierung Saddam Husseins beseitigen - und da sie nicht freiwillig geht, werden die USA einen Krieg gegen den Irak führen. Das erklärte Ziel dieses Kriegs ist, die USA samt der "Staatengemeinschaft" vor einem unberechenbaren Diktator zu schützen, der über Massenvernichtungswaffen verfügt.


Was ist mit diesem Kriegsprogramm alles nicht gemeint? - Diktatoren gibt es viele auf der Welt, auch solche, mit denen die restliche "Staatengemeinschaft" kein Problem hat. Es ist ebenfalls ein offenes Geheimnis, daß der Krieg auch nicht geführt wird, um den Interessen Israels am besten zu dienen - obwohl dies heute der einzige Staat ist, der durch den Irak real bedroht wird. Was für die Israelis übrigens auch dann eine bedrohliche Situation wäre, verfügte Saddam Husseins Regime tatsächlich über keine Massenvernichtungswaffen. Ein irakischer Angriff auf Israel als Gegenreaktion auf den Angriff der USA wird offen einkalkuliert. Man weiß also, was der Irak derzeit wollen könnte. Mit der Unberechenbarkeit Saddam Husseins ist es demnach auch nicht weit her.
Einige andere mächtige Staaten haben sich offen gegen diesen Krieg ausgesprochen. Diesmal, und das ist neu, nicht nur solche wie Russland und China, sondern selbst die wichtigen NATO-Partnerstaaten Deutschland und Frankreich. Jedoch nicht aus prinzipieller Kriegsgegnerschaft. Die war bei Staaten bisher nie zu beobachten. Ganz im Gegenteil: Als es vor vier Jahren gegen Jugoslawien oder vor zwei Jahren gegen Afghanistan ging, war Deutschland z.B. selbst kriegsführende Partei. Was unterscheidet den anstehenden Krieg von diesen beiden vergangenen?

Husseins Irak seit dem letzten Golfkrieg: Eine Dauerbeaufsichtigung...

Der Irak ist für die Weltmächte ein berechenbarer Störfaktor in ihrer Weltordnung. Er führte einen Eroberungskrieg gegen Kuwait, ohne sich von ihnen dafür eine Erlaubnis geholt zu haben. Und die Weltmächte stellen daraufhin nicht gerade mit Samthandschuhen klar, daß sie so ein Verhalten nicht zulassen. Nach dem Golfkrieg Anfang der Neunziger ließ man einen wieder zurechtgestutzten Irak zurück. Gegen dessen Regierung werden seitdem durch militärischen Druck Flugverbotszonen und UN-Waffenkontrollen durchgesetzt. Dieser Druck hat auch nicht nur die Gestalt einer Drohung. Die Flugverbotszonen waren in den letzten zehn Jahren mit 260.000 Flugeinsätzen durchgesetzt worden, und US-amerikanische Soldaten operieren bereits heute auf irakischem Territorium. Durch ein Embargo wird der Irak seit dem letzten Golfkrieg auch ökonomisch unter massiven Druck gesetzt. Anders als viele erwartet haben, hat das allerdings weder zu einem inneren Umsturz geführt noch zum Einknicken der irakischen Regierung.

...und damit eine normale Fortsetzung der bestehenden Weltordnung

Die wechselseitige Anerkennung der Staaten beinhaltet, daß niemand einfach so fremdes Territorium besetzt, oder sich auch nur vom Weltmarkt abschottet. Die Befolgung dieser zunächst harmlos klingenden Regeln ist für die meisten beteiligten Länder in der Konsequenz dermaßen ruinös, daß ein solches Verhältnis nur mit Gewalt gegen sie durchgesetzt und aufrechterhalten werden kann. Mit diesen Regeln wird die Freiheit des Warenverkehrs durchgesetzt. Diese Freiheit selbst ist es, die ein paar Gewinner und massenhaft Verlierer hervorbringt. Und die bloße Einhaltung der Regeln dieses Warenverkehrs garantiert, daß die Verlierer Verlierer bleiben. Mehr noch: Die wechselseitige Anerkennung der Selbstbestimmung aller Nationen bedeutet heute nichts anderes, als daß sich die Staatsgewalten gegenseitig vorschreiben, ihre Territorien, mit all ihren Ressourcen und Einwohnern, weltmarkttauglich zu machen. Wobei dieses Vorschreiben zuverlässig von denjenigen Staatsgewalten erledigt wird, die über entsprechende ökonomische und militärische Gewaltmittel verfügen. Übrigens sind selbst die Bewohner dieser Staaten von der weltweiten Armut keineswegs garantiert ausgenommen. Die Armut der Bevölkerung der Weltmarktverliererländer ist freilich dauerhafter, massenhafter und hat drastischere Folgen.
Es ist kein Wunder, daß alle Länder die Regeln der freien Weltordnung nur dann und insoweit befolgen möchten, wie es ihrem eigenen Erfolg nützt. Der permanente, absehbare Regelbruch wird durch wechselseitige Beaufsichtigung, Vertragsstrafen nach internationalen Handelverträgen und einige anderen Maßnahmen verwaltet.

Anders ist es, wenn ein Staat kein Hehl daraus macht, diese Regeln zu verletzen, um den Weltmächten eine aus eigenen Kräften geschaffene Ölmacht vorzusetzen - wie es dem Irak vorgeworfen wird. In so einem Fall ist eine machtvolle Unterwerfung angezeigt. Keine der Weltmächte bestreitet das. Der Minimalkonsens lautet, daß Saddam Husseins Regime im Grunde unerwünscht ist, die bisherigen Maßnahmen nicht reichen, und der Irak dringend entwaffnet, sprich wehrlos gemacht werden müsse.

Der US-amerikanische Kriegsplan ist in diesen Konsens nicht mit eingeschlossen. Wie kommen nun die USA darauf, es bereits als eine Verletzung ihrer Interessen zu betrachten, wenn Saddam Hussein im Irak weiterregiert? Und deshalb einen Krieg führen zu müssen?
Die USA gehören zu den wenigen Staaten, die von der Weltordnung ökonomisch profitieren. Sie sind derjenige Staat, der es sich leisten kann, militärisch die Nr. 1 in der Welt zu sein. Daher haben sie auch nicht erst seit heute die Rolle, die Weltordnung überall dort abzusichern, auch durch Kriege, wo sie in Frage gestellt wird. Von Seiten der anderen Weltmächte sind die USA bisher mehr oder weniger in dieser Rolle anerkannt worden, ausdrücklich von den anderen Vetragsstaaten der NATO. Die NATO-Staaten wären nicht auf die Idee gekommen, die Ausübung dieser Rolle zu verwechseln mit einer gefährlichen Durchsetzung amerikanischer Sonderinteressen gegen den Rest der Welt. Übrigens wurde die Identifikation der USA mit der Weltordnung auch von ihren Gegnern praktiziert, wie es zuletzt auch der Anschlag aufs World Trade Center vom 11.9. bewiesen hatte. Zutreffenderweise sahen sich die anderen Staatsmächte von diesem Attentat mitgemeint. Erfolgreich hatten die USA danach die anderen Weltmächte zu Bündnispartnern beim Umsturz der afghanischen Regierung gemacht.
Nun setzen die USA den Sturz der Regierung des Iraks als nächstes Kriegsziel. Die USA rufen zur weltweiten Zustimmung zu diesem Antiterrorfeldzug Nr. 2 auf, und nach der Bekräftigung des deutschen Neins sogar zu einem weiteren Mandat des UN-Sicherheitsrates. Der Gegenstand, auf den sich diese Anerkennung richten soll, ist der gleiche geblieben: Es geht um die alte Rolle der Weltaufsichtsmacht.
Der große NATO-Teilnehmerstaat Deutschland hatte bereits direkt nach dem 11.9. nicht nur seine "bedingungslose Solidarität" ausgedrückt - sondern auch, daß man "nicht jedes militärische Abenteuer" unterstützen werde. Diese Ansage mündete schließlich im expliziten deutschen Nein zum amerikanischen Irak-Kriegsplan.

Deutsche EmpfindlichkeitenStaaten wie die BRD sind nicht zimperlich, wenn es darum geht, Kriege zu führen - sehr genau wird hingegen der Nachdruck wahrgenommen, mit dem die derzeitige Weltmacht Nr.1 sich eindeutig und unangefochten als diese anerkannt sehen will. Weder um Ja oder Nein zum Weltordnen, geschweige denn um ein Ja oder Nein zum Krieg dreht sich die neuartige Konfrontation zwischen den NATO-Verbündeten Deutschland und USA. Sondern um Deutschlands Anspruch, selbst eine Weltmacht Nr. 2 zu sein, und deshalb den Abstand zur Nummer 1 nicht größer werden zu lassen.



Die Sorge um den Status der zuständigen Aufsichtsmacht im eigenen osteuropäischen Hinterhof war im Falle Serbien für Deutschland der Grund, sich einzumischen, aktiv in den Krieg einzusteigen. Der Irak-Krieg bietet jedoch keine Gelegenheit, sich als Mit-Aufsichtsmacht zu bewähren. Den entscheidenden Schritt zur Niederringung des Hussein-Regimes, können, wollen und werden nur die USA gemeinsam mit dem engsten Verbündeten Großbritannien gehen. Übrig bleibt die Rolle eines Juniorpartners, der in militärischer Hinsicht bestenfalls einen Zwergenbeitrag leistet und ansonsten nur absegnet, was die USA ohne ihn vollbringt. Während der Zerfall Jugoslawiens den deutschen Staat geradezu darauf verpflichtete, die soeben wiedererlangte nationale Souveränität durch einen Krieg unter Beweis zu stellen, bewährt sich die Souveräntität heute im Nein zu einem Krieg.

Testballon Neinsager

Die alte, bestehende NATO-Arbeitsteilung hätte man angesichts der bestehenden Kräfteverhältnisse von sich aus wohl nicht so bald aufgekündigt. Deutschland hat auf dem Balkan und anderswo bereits mehrfach den Willen und die Fähigkeit zum militärischen Mitmischen in aller Welt unter Beweis gestellt hat. (Man denke nur an das Selbstlob für den Abschied von der "Scheckbuchdiplomatie".) Wenn die USA jetzt die Zustimmung zu einer erweiterten Wahrnehmung ihrer alten Rolle verlangen, dann scheint Deutschland als Konkurrenzmacht darin eine überaus passende Gelegenheit für eine symbolträchtige neue Verhaltensweise zu finden: Zum amerikanischen Anliegen Nein zu sagen.
Freilich berücksichtigt die aktuelle deutsche Regierung, daß angesichts der bestehenden Kräfteverhältnisse kein gutes Weldordnen ganz ohne bzw. direkt gegen die USA zu machen ist. Also wird die Position eingenommen, daß es doch reiche, den Kurs gegen den Irak zu verschärfen. Der Irak, wird auf einmal betont, müsse von der Staatengemeinschaft endgültig entwaffnet werden. Die UN-Waffenkontrolleure, deren Tätigkeit mit einem US-Angriff logischerweise ihren Sinn verlöre, leisten aus deutscher Sicht jetzt eine Arbeit, die sowas von ehrenvoll ist, viel bessere Unterstützung als bisher verlangt, und vor allem: viel Zeit. Am allerbesten wären natürlich Blauhelmsoldaten, deren Entsendung den amerikanischen Plan gleich auf lange Sicht obsolet machen würden. Man sammelt unter der Fahne des "Entwaffnungsplans" diverse große und kleine Staaten und testet aus, wie weit man mit ihnen zusammen kommt.

Hauptsache Frieden?

Die Massen in der EU und insbesondere Deutschland sind begeistert. Beim Serbienfeldzug ging das deutsche Ja aus dem gleichen deutschen Großmachtsanspruch hervor wie beim Irakkrieg das deutsche Nein. Ersterer brachte nicht annähernd so viele Kriegsgegner auf die Straße wie heute dort anzutreffen sind. Deutsche Kriegsgegner sagen heute, Krieg fänden sie einfach schlecht, jeden Krieg, immer. Dieser speziellen Krieg gebe ihnen jedoch die einzigartige Möglichkeit, durch ein deutsches Nein etwas zu bewirken.
Was dabei herauskommt ist die Vorstellung von eine Art Aktionsgemeinschaft mit der deutschen Staatsführung, mit dem gemeinsamen Ausgangspunkt, "Hauptsache, Frieden" zu wollen. - Derjenige, der seinen Wunsch, daß doch einfach kein Krieg sein soll, einigermaßen widerspruchsfrei zusammenbringen will mit dem deutschen Staat, der ausgerechnet dies bewirken soll, wird daran scheitern. Was für ein Frieden das sein mag, den ein Staat wie Deutschland garantieren wird, wenn man ihm erst mal die Gelegenheit dazu gibt, darauf gibt Deutschlands Handeln in den letzten zehn Jahren einige Hinweise, auf die wir schon eingegangen sind. Wer freilich keine Probleme hat mit den Kriterien, nach denen z.B. Jugoslawien zur Bombardierung freigegeben wurde, der hat seiner Vorstellung vom Frieden bereits einen realistischeren Zuschnitt gegeben. Solche Leute gibt es in der derzeitigen deutschen Friedensbewegung auch.

Ein Verantwortungsdingsbums kommt selten allein: Der Vorwurf der Verantwortungslosigkeit - und der Wille, Verantwortung zu übernehmen

Immer häufiger ist jetzt der Vorwurf zu hören, ein Krieg gegen den Irak sei keine verantwortungsvolle Weltpolitik. Unterstellt ist damit das imperialistische Naturgesetz, daß es stets führende Weltmächte geben müsse, die Staaten wie den Irak in seine Schranken verweisen. Kritisiert wird dann, wie mies die USA diese Rolle angeblich ausfüllen. Immer nur ans Öl denken, persönliche Feindschaften des Präsidentenpapas weiterspinnen, wegen all dieser Eigennützigkeiten die "Stabilität in der Region" aus dem Auge verlieren - das sind so die Ausführungen, die zu hören bekommt, wer in der deutschen Durchschnittsbevölkerung nach den nähreren Gründen für das Nein zum Krieg fragt. Die meisten haben auch nichts gegen die Vorstellung, ein Hauptrisiko für den Frieden auf der Welt dingfest zu machen. Nur bekennen sie sich in Meinungsumfragen mehrheitlich dazu, daß dies nicht Saddam Hussein sei, sondern George W. Bush. Die überwältigende Mehrheit der Friedensbewegten pflegt genau solche Vorstellungen, und somit letztlich die Ideologie ihrer Nation als der zurückgesetzten Weltmacht.
Wenn heute in der deutschen Öffentlichkeit etwas am Hineinwachsen Deutschlands in die Rolle der Weltmacht Nr. 2 kritisiert wird, dann nie das Was, sondern immer nur das Wie. Das Versprechen des Staatsführers Schröder wird zum Ausgangspunkt der weltpolitischen Ambitionen gemacht, um dann skeptisch zu prüfen, ob dieses Verprechen denn ernst gemeint, oder nur ein Wahlkampftrick war. Verliere Deutschland, so die einschlägige Sorge, nicht gerade seinen segensreichen Einfluß in der Welt durch ein zu früh zu prinzipiell ausgesprochenes Nein zum Krieg?

Im großen und ganzen greift die Friedensbewegung den Irakkrieg als eine Gelegenheit auf - und zwar dafür, die Weltmachtstellung der USA in Frage zu stellen

Auf die USA, nicht auf den Irak ist das Hauptinteresse dieser Bewegung gerichtet. Das Mitleid mit den zu erwartenden irakischen Opfern des Kriegs ist genau so politisch ausgesucht, wie es das Mitleid mit jeder anderen der dutzenden Bevölkerungsgruppen auf dem Globus wäre, die derzeit gerade von Krieg, Hungersnot oder sonstigem Elend heimgesucht werden. Für Solidarität mit diesen fehlt allein der politische Anlaß. Während man die Irakis immerhin noch hervorhebt, um sie zum Objekt einer sehr wählerischen Betroffenheit zu degradieren, erfahren die potentiellen Opfer des heraufziehnden Kriegs auf israelischer Seite nicht einmal diese Würdigung. Denn: Israel wird dem neuen Hauptfeind USA zugeschlagen, weshalb man den Gegensatz zwischen dem israelischem und dem US-amerikanischem Interesse an einem Irakkrieg geflissentlich ignoriert - was man wohl kaum täte, ginge es tatsächlich darum, die konkreten Folgen des Kriegs anzuprangern. Das soll kein Vorschlag an die Friedensbewegung sein, sondern im Gegenteil ein weiterer Grund dafür, warum sie keinerlei Vorschläge oder sonstigen konstruktiven Beiträge von uns zu erwarten hat.

Wer keinen Krieg in der Welt möchte, muß den Frieden der Vaterländer bekämpfen!